Coq 11
»Genosse Hamilton«.
Das ist das Rezept der Hamilton-Bücher. Die Bausteine dazu hatte ich bereits in der Tasche, als ich 1974 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Sobald die richtige Idee auftauchte, würde ich die Hamilton-Maschinerie in Gang setzen können.
Zum Glück dauerte es seine Zeit. Hätte ich schon 1974 angefangen, hätte Hamilton in einer öden und ereignislosen Phase begonnen. Zwischen 1975 und 1985 passierte in Schweden nicht viel Wichtiges: ein Bankraub am Norrmalmstorg, im Parlament ein politisches Gleichgewicht, eine kurzlebige konservative Regierung. Und im internationalen Zusammenhang schienen die vom Kalten Krieg geprägten Verhältnisse genauso stabil. Ich glaube, im Jahre 1975 hätte man Hamilton kaum Beachtung geschenkt.
Andere schriftstellerische Arbeiten hatten Vorrang. Erst 1984/85 hatte ich eine weiterführende Idee. Ich las einen fünfhundert Seiten langen Bericht vom Schwedischen Sicherheitsdienst über die kurdische Minderheit in Schweden. Dieser Bericht strotzte geradezu vor Paranoia und Zirkelschlüssen. Das konnte nur bedeuten, dass jeder größere Gewaltakt, der sich in den kommenden Jahren in Schweden ereignete, eine intensive Verfolgung der Kurden nach sich ziehen würde.
Ich selbst wurde in dieser Zeit während eines Oslobesuches vom norwegischen Sicherheitsdienst bespitzelt. Als ich länger über diese Sache nachdachte, kam mir der Gedanke, dass meine Verfolger und ich in zwei völlig verschiedenen Welten lebten. Trotz der Tatsache, dass wir gerade einen ganzen Tag zusammen in der Osloer Innenstadt verbracht hatten, würden diese Sicherheitsdienstoffiziere den Gang der Ereignisse vollkommen anders interpretieren als ich. Wo ich ein amüsantes Missverständnis gesehen hatte, sahen sie womöglich einen gefährlichen Terroristen.
Schließlich hatte ich eine Idee, die zu der bereitstehenden Hamilton-Maschinerie passte. Und als das erste Buch erschien, Coq Rouge, handelte es von einem Mord ganz oben im schwedischen Staatsapparat, der nicht zu einer ernsthaften Suche nach dem Mörder, sondern zu einer wahnsinnigen Kurdenjagd führte. Man schrieb das Jahr 1986, als der Mord an Olof Palme diese Kurdenjagd in Gang setzte.
So etwas nennt man Timing – die Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, egal, ob es nun auf Glück, auf Cleverness oder auf beidem beruht.
Als Hamilton 1986 die Bühne betritt, wird Schweden von einer international verlachten Polizei drangsaliert, die bei der Fahndung nach dem Mörder Olof Palmes ziemlich schlecht abschneidet; zudem beschuldigte man die Russen, sich mit ihren U-Booten mehr oder weniger permanent in den Stockholmer Schären aufzuhalten.
Das Ende des Kalten Krieges, der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Sieg des Kapitalismus prägten das Jahrzehnt Hamiltons. National betrachtet, probte Schweden zuerst die totale Abkehr vom sozialdemokratischen Volksheim und begab sich auf die neoliberale Einbahnstraße, um sich schließlich extrem zögerlich auf etwas zurückzuziehen, das weder der alten Sozialdemokratie glich noch wirklich konservativ war. Insofern bot die Zeit zwischen 1986 und 1995 alles, was zwischen 1975 und 1985 gefehlt hatte. Und deshalb konnte es auch ganze zehn Bücher über Hamilton geben, denn die Handlung war variabel, obwohl die Geschichte, auf die Gefahr der Wiederholung hin, immer eng an eine höchst dominante Hauptfigur geknüpft war.
In dieser Hinsicht war es ein extremes Glück für mich, dass ich so große Startschwierigkeiten hatte. Ein guter Torwart braucht Glück. Für Autoren scheint das ebenfalls zu gelten.
Interview mit dem Autor
Jan Oscar Sverre Lucien Guillou (* 17. Januar 1944 in Södertälje, Schweden) ist einer der wichtigsten politischen Journalisten seines Landes und erfolgreicher Autor von Romanen. 1973 veröffentlichte er in der Wochenzeitschrift »Folket i Bild – Kulturfront« einen Artikel über illegale Machenschaften beim Schwedischen Geheimdienst. Die Veröffentlichung brachte ihm eine Verurteilung wegen Spionage und eine zehnmonatige Haftstrafe ein. Seine schriftstellerische Karriere begann 1971 mit dem Roman »Om kriget kommer« (»Wenn der Krieg beginnt«). Seitdem hat Jan Guillou 37 Bücher geschrieben, darunter die zehn Bände der Coq-Rouge-Reihe und die Romanserie über den Tempelritter Arn und seine Nachkommen. Jan Guillou lebt heute in Stockholm.
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