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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Prolog
    N ur die Augen verrieten, dass Leben in dem Mann steckte. Es waren dunkle Augen voller Glut und Hass, und sie gehörten zu einem Gesicht, das auf Wangen und Schläfen mit grellroten Winkeln bemalt war. Der Schädel des Mannes war kahl rasiert bis auf einen Kamm schwarzen Haars, der sich von der Stirn bis in den Nacken hinabzog. Sein Hals, die Oberarme und die Schenkel waren reich tatauiert. Über seinem Hinterkopf ragte steil eine einzelne Adlerfeder empor.
    Der Mann war ein Algonkin. Und er war auf dem Kriegspfad.
    Den ganzen Morgen schon hielt er sich in dem zähen Buschwerk verborgen, das nach Osten und Süden hin den Blick auf einige ausgedehnte Tabakfelder freigab. Nur wenige Male hatte er durch Handzeichen Kontakt zu seinen Stammesbrüdern aufgenommen, die am Westufer der Insel abwartend in ihren Birkenrindenkanus saßen – seetüchtigen Booten, mit denen sie vom Festland herübergepaddelt waren.
    Doch die Zeit für den Angriff war noch nicht gekommen, obwohl die Sonne bereits im Zenit stand und Wolken von Stechmücken aus den Sümpfen aufgestiegen waren, um sich auf alles zu stürzen, was warm und voll Blut war.
    Die scharfen Augen des Spähers verfolgten die mühsame Arbeit der schwarzen Sklaven, die mit hölzernen Hacken das Unkraut aus dem Boden schlugen, damit es den Tabakpflanzen nicht das Licht nahm. Eine junge Frau, weißhäutig und mit Haaren, die so rot waren wie das Kupfer, aus dem sein Halsanhänger bestand, beaufsichtigte sie. Die Rothaarige saß auf einem riesigen Tier, das die Weißen Pferd nannten. Der Späher hatte solche Tiere schon einige Male gesehen, und jedes Mal war er tief beeindruckt von ihrer Erscheinung gewesen. Ihnen wohnte ein mächtiger Zauber inne, der dafür sorgte, dass sie eins wurden mit dem Reiter, dessen Kraft und Schnelligkeit dadurch um ein Vielfaches anwuchs. Dazu kam, dass manche Reiter mit donnernden Feuerstöcken bewaffnet waren, die den Tod schon auf weiteste Entfernung bringen konnten. Einen solchen Stock hatte die Frau zwar nicht, aber Vorsicht war trotzdem geboten. Es würde besser sein zu warten, bis sie fortgeritten war. Oder bis Pferd und Reiterin sich wieder geteilt hatten.
    Jetzt lachte sie, denn einer der Schwarzen zeigte ihr eine fingerlange grüne Raupe, die sich, von ihrer Fressarbeit aufgeschreckt, heftig hin- und herwand. Der Sklave lächelte scheu zurück, aber er vermied es, der Frau in die Augen zu sehen. Stattdessen warf er die Raupe in einen Sammelkorb und nahm eifrig seine Arbeit wieder auf.
    Die Mundwinkel des Spähers zuckten verächtlich. Schwarze Feiglinge! Wagten es nicht, sich gegen den weißen Mann zu erheben, der sie zwang, den
uppowoc
anzubauen. Undenkbar für einen Algonkin-Krieger! Der Schamane seines Dorfes hatte die Zeichen für günstig befunden und ihm und seinen Brüdern einen Sieg prophezeit. Einen großen Sieg. Aber er hatte noch mehr gesehen. Er hatte gesehen, dass weiße Männer wieder über das Meer kommen würden. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit. Viele weiße Männer und Frauen und Kinder. Zehnmal, ja zwanzigmal so viele, wie eine Hand Finger hatte. Doch einen tapferen Krieger durfte das nicht schrecken.
    Unwillkürlich fasste der Späher an seinen Gürtel, in dem die Kriegskeule steckte. Der Gürtel war ein
wampum
, gefertigt aus weißen und violetten Meeresmuscheln, die ihm als Tausch- und Zahlungsmittel dienten. Die violetten hießen bei den Fremden Peak, die weißen Roanoke.
    Wieder verfiel er in absolute Starre, doch innerlich tobte die Wut in ihm. Roanoke!, dachte er grimmig. So, wie die Eindringlinge die weißen Muscheln nannten, so nannten sie auch die Insel, die er mit seinen roten Brüdern noch an diesem Tag zurückerobern wollte:
    Roanoke Island.
     
    »Bei den verdammten zwölf Aposteln! Ich zieh dir eins mit der Peitsche über deinen verdammten Niggerrücken, wenn du den Blasebalg nicht schneller drückst! So wahr ich der Oberaufseher dieser verdammten Insel bin!«
    »Ja, Massa Murphy.« Der Schwarze, der Inkpot gerufen wurde, nickte ängstlich. Er stand vor einem lodernden Feuer, das er an der Mündung des Doughs Creek entzündet hatte.
    »Drücken, drücken, drücken! Die Glut muss weiß sein, sonst wird das Brenneisen nicht heiß genug und die verdammten Neunigger kriegen kein anständiges Brandzeichen! Hab’s dir schon hundertmal gesagt!« Murphy nahm seine Tonpfeife aus dem Mund und deutete damit auf die vor ihnen liegende Shallowbag Bay, in der kurz zuvor ein Sklavenfahrer Anker geworfen

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