Coq 11
die U-1 Jerusalem auf. Seeleute und Offiziere strömten an Deck und stellten sich in perfekter Reihe vor dem Turm auf. Eine große palästinensische und eine kleinere südafrikanische Flagge wurden gehisst.
Rings um die Waterfront kam das touristische Treiben zum Erliegen. Die Leute strömten voller Verwunderung, enthusiastischer Begeisterung oder hasserfüllt zum Kai. Die Gruppe der amerikanischen Touristen war offenbar gespalten, manche zeigten dem U-Boot den Stinkefinger, andere jubelten ihm zu.
Die Hebebrücke am Clock Tower, die das innere Alfred-Becken abschirmte, wurde von eifrigen südafrikanischen Soldaten in die Höhe gehievt, und die U-1 Jerusalem glitt sanft auf den Kai vor dem Hotel Cape Grace zu, wo sich die wartende Delegation aufgestellt hatte. Das Musikkorps spielte zuerst Biladi, die palästinensische Nationalhymne, und dann, während sich das U-Boot langsam drehte, die südafrikanische Hymne.
Die U-1 Jerusalem nahm fast den gesamten Anlegesteg vor dem Hotel ein. Südafrikanische Soldaten warfen Trossen über, die von Matrosen in blauen Uniformen mit palästinensischer Flagge am Ärmel sofort geschickt und seemännisch vertäut wurden. Fachmännisch wurde ein Landungssteg ausgelegt und befestigt. Als vom Turm ein lautes Pfeifen ertönte, drehte sich die Besatzung blitzschnell zu der Delegation am Kai um und salutierte. Anschließend betrat ein nicht arabisch aussehender Mann in Admiralsuniform die Brücke, blieb stehen und ließ der momentan bekanntesten Freiheitskämpferin, oder auch Terroristin, den Vortritt.
Mit Mouna al-Husseini an der Spitze ging das Offizierkorps der U-1 Jerusalem an Land und direkt auf die wartenden Präsidenten zu. Nelson Mandela wusste vermutlich genau, was er tat, als er in diesem Moment ein klassisches Bild erschuf: Nachdem Mouna vor ihm strammgestanden und salutiert hatte, nahm er sie einfach in den Arm und küsste sie zum Entzücken der Zuschauer. Auch dieses Bild sollte bald in großen Teilen der Welt die Plakatwände zieren.
Die übrigen Offiziere wurden von den beiden südafrikanischen Präsidenten und den zwei palästinensischen Politikern militärisch korrekt begrüßt.
Carl war bewusst, dass dieser Moment für ihn persönlich ein Wendepunkt war. Er versuchte, so gut er konnte, den Kameras auszuweichen, die den bislang so geheimnisvollen Chef der palästinensischen Flotte ins Visier nahmen. Er hatte ein ganzes Jahrzehnt mit Pferdeschwanz im Verborgenen verbracht. Doch von jetzt an galten die Restriktionen nicht mehr, die er Rashida Asafina auferlegt hatte. Wahrscheinlich würde sie in einer Viertelstunde in der Redaktion von Al-Dschasira in Kapstadt sitzen und ihr Material überspielen.
Es war schwer zu sagen, wohin das Ganze führen würde. Nüchtern betrachtet, war er ein entflohener Mörder, verurteilt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Nicht gerade ein optimaler Repräsentant des palästinensischen Freiheitsprojekts. Rashidas Interviews hatten natürlich einen positiven Grundton, aber die internationalen Medien würden das nicht akzeptieren, nicht zuletzt aus Neid auf den Sender Al-Dschasira, der bislang die Exklusivrechte an der heißesten Story der Welt gehabt hatte. Er hatte zwei Möglichkeiten. Entweder sprach er mit niemandem mehr, oder er gab einem der bestangesehenen amerikanischen Fernsehsender in den kommenden Tagen ein exklusives Interview von etwa sechzig Minuten Länge. Sie würden ihn zwar nicht mit Samthandschuhen anfassen, aber auf der anderen Seite konnte er zu seiner Verteidigung einige schlagkräftige Argumente vorbringen. Ein möglichst harter und feindseliger Gesprächspartner wäre sogar von Vorteil.
Er verschob die Frage auf später. Nun stand Politik auf der Tagesordnung. Während sich einige Besatzungsmitglieder im Hotel Cape Grace einrichteten, die Bewachung des U-Boots organisiert wurde und Nelson Mandela nach Hause fuhr, um sich vor einem langen und anstrengenden Bankett am Abend auszuruhen, versammelten sich alle wichtigen Personen in einem Konferenzraum, um dort die abendlichen Reden von Mbeki und Abbas vorzubereiten und um Sicherheitsprobleme zu diskutieren. Mandela würde nur ein paar grundsätzliche Worte über die langjährige Solidarität zwischen den palästinensischen und den südafrikanischen Freiheitskämpfern sagen.
Thabo Mbeki hatte zwei konkrete Fragen. Konnten die Amerikaner das U-Boot hier an der Anlegestelle vor dem Hotel zerstören? War Israel in der Lage, aus so großer Entfernung einen Luftangriff zu
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