Fuer immer du
1.Kapitel
E in Poltern riss mich aus dem Schlaf. Ich tastete nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe. Der blaue Plastikbär aus Kindertagen leuchtete auf und hüllte mein Schlafzimmer in viel zu helles Licht. Ich sollte endlich eine schwächere Glühbirne besorgen. Mürrisch rieb ich mir die Augen. Mein kleiner Wecker zeigte 6.32 Uhr an. Ich fluchte innerlich.
Noch einmal rieb ich meine Augen und blickte mich nach dem Grund für die frühmorgendliche Störung um. »Tigger!« , schrie ich den roten Kater an. »Was hast du jetzt wieder angestellt?«
Mein Kater warf mir einen kurzen Seitenblick zu und stolzierte erhobenen Hauptes aus dem Zimmer. Ich schlug die Decke zurück und tapste barfuß zu meinem Schreibtisch rüber. Mein Stubentiger hatte die Vase mit den gelben Rosen umgeworfen, die mir Oma gestern zum Einzug geschenkt hatte. Das Wasser tropfte von der Schreibtischplatte und bildete unten auf dem dunklen Laminat eine Pfütze. Schimpfend hastete ich in mein Badezimmer, zerrte den Putzlumpen unter dem Waschbecken hervor und beeilte mich, die Sauerei aufzuwischen, bevor sie dem neuen Laminat Schäden zufügen konnte.
Erst vor wenigen Tagen waren wir in das kleine Haus am Rande von Linden gezogen – in der Nähe von München, nicht Wiesbaden, das die letzten vier Jahre mein Zuhause gewesen war. Mein Stiefvater hatte das Haus selbst ausgebaut. Er war stolzer Eigentümer einer kleinen Baufirma.
Vor ein paar Jahren hatte Opa meiner Mutter dieses Haus und einen Teil seines Landes vermacht, wohl in der Hoffnung, dass es uns dann bald von der schönen Großstadt in das langweilige Dorf Linden, aus dem wir ursprünglich stammten, zurückziehen würde. Seine Hoffnungen hatten sich nun dank mir erfüllt.
Und ich – Skyler Doyle, sechzehn Jahre, Realschülerin – hatte in diesem Haus eine eigene kleine Wohnung im Dachgeschoss; Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer, Küche und Balkon. Eine kleine Freiheit, um die mich meine Freundinnen beneidet hätten, wäre da nicht die Gegensprechanlage mit Kamera, die täglich mehrere Male aus der Wohnung meiner Eltern betätigt wurde. So wollte meine Mutter mir sagen: »Wir vertrauen dir genug, um dir ein eigenes Leben zu ermöglichen, aber nicht genug, um dir vollkommen die Kontrolle über dieses zu überlassen.« Typisch für Mutters Erziehungsstil. Wenn ich etwas falsch machte, dann machte sie einen Schritt in Richtung Bestrafung, und dann aus Mitleid und – wie ich annehme – einem schlechten Gewissen heraus, zwei Schritte auf mich zu zur Wiedergutmachung.
Der Umzug nach Linden und die katholische Mädchenschule , auf die ich bald gehen sollte, waren die bisher einzigen Strafen, die sie bis zum Ende durchgezogen hatte. Die Wohnung im Dachgeschoss der Versöhnungsversuch, der an der Steinmauer, die ich um mich herum errichtet hatte, gescheitert war.
Ich konnte mit den Kameras leben, sie funktionierten nur, wenn ich das Gespräch entgegennahm, also war es eine recht harmlose Sache, dafür, dass ich eine eigene Wohnung hatte. Was ich nicht akzeptieren konnte, war dieser Umzug. Nur weil ich meine kleine Rebellion etwas zu weit getrieben hatte. Genau deswegen führte ich so etwas wie einen Krieg gegen meine Mutter. Und weil sie meinen Bruder Tom vertrieben hatte.
Jetzt war ich also zurück in dem spießigen, bayrischen Dorf meiner Kindheit. Fernab von David und meinen Freunden, fernab von Wiesbaden. Gefangen in der Einöde und hilflos überholten Traditionen ausgeliefert, die so sinnlos waren, wie der sogenannte Krampuslauf, bei dem ein paar vermummte Männer mit Routen auf Dorfbewohner einsch lugen, um sie auf dem Marktplatz zusammenzutreiben, wo der Nikolaus dann Geschenke verteilte und eine Rede hielt.
Ich war für unsere Rückkehr nach Linden verantwortlich. Wenn ich gewusst hätte, dass meine Entscheidungen mich an diesen Punkt führen würden, hätte ich sie niemals getroffen. Meine kleine Rebellion war das alles hier nicht wert. Nicht Linden, nicht die katholische Mädchenschule, nicht den Abschied von David.
Ich stellte die Blumen zurück in die Vase und nahm diese mit in mein kleines Bad. Nur Dusche, keine Badewanne, dafür im Schachbrettmuster gefliester Boden. Sollte Tigger also noch einmal das Bedürfnis verspüren, die Vase umzuwerfen, würde ich wenigstens keine Wasserflecke befürchten müssen.
Aus der Sprechanlage ertönte die Stimme meiner Mutter. Ich warf dem Wecker einen misstrauischen B lick zu: 6.45 Uhr. Wütend tapste ich zur Wand neben der Tür.
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