Coq 11
über einen kleinen rostigen Öltanker mit russischer Flagge. Wieder eine Ernüchterung.
Die beiden alten Kähne legten sich in einem Abstand von fünfundzwanzig Metern nebeneinander. Allein das war unbegreiflich. Zudem wuchs die Spannung zwischen Mouna al-Husseini und ihrem engsten Mitarbeiter, der die ganze Zeit auf seine Uhr sah. Er flüsterte irgendetwas von zehn Sekunden und leckte sich seine spröden Lippen. Mouna hielt schweigend ein Messinggeländer neben dem Radarschirm umklammert.
Dann war plötzlich genau zwischen den zwei Schiffen ein kräftiges Licht in der Tiefe zu sehen, und ein schwarzes Monstrum, das doppelt so lang war wie die beiden Fahrzeuge an der Wasseroberfläche, stieg langsam aus der Dunkelheit nach oben. Mouna und ihre Besatzung jubelten und fielen sich in die Arme.
Ewas so Verblüffendes hatte Rashida Asafina noch nie gesehen. Dabei war es ihr Job, extreme, geheimnisvolle oder ungewöhnliche Bilder zu finden. Dass es sich hier um ein U-Boot handelte, begriff jeder Trottel. Aber was, um Himmels willen, hatten die Palästinenser damit vor?
Die beiden rostigen Schiffe manövrierten sich näher an das U-Boot heran, machten es mit Leinen fest und hängten Fender und Gangways aus. An dem schwarzen U-Boot öffneten sich vorn und hinten Luken, und kurz darauf wimmelte das Deck von Seeleuten in Uniform, die Ladung vom Trawler holten. Das meiste war gut verpackt, aber es gab auch einige frisch geschlachtete Tiere zu sehen, die Ausrüstung des Fernsehteams und – merkwürdigerweise – Holzkisten mit Wein. Alles verschwand in den Luken. Aus dem russischen Tanker schlängelte sich ein Schlauch in die Achterluke, offenbar tankte man Treibstoff. Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei.
Nun kam eine Gruppe von Offizieren an Bord und formierte sich. Ein Pfiff ertönte.
»Meine Damen, wir werden erwartet!«, befahl Mouna ihren gekidnappten Journalistinnen und ließ ihnen den Vortritt zum Laufsteg zwischen Trawler und U-Boot. Dort stand der Mann, der an Bord ihr höchster Offizier gewesen zu sein schien und der Abu Ghassan hieß. Er und Mouna nahmen erstaunlich kühl Abschied voneinander.
»Folgen Sie mir!« sagte sie in strengem Ton, und die beiden Journalistinnen stellten sich artig hinter ihr auf.
Dann betrat Mouna die kleine Gangway und blieb auf halbem Wege stehen. Sie stellte sich kerzengerade zum militärischen Gruß auf, der von der gesamten Offizierstruppe beantwortet wurde. Nachdem zum zweiten Mal ein Pfeifton erklang, ging sie mit eiligen Schritten hinüber, begrüßte jeden Offizier mit großer Herzlichkeit und stellte ihnen »ihre beiden Journalistinnen« vor, die auf hohen Absätzen und in knappen Kleidchen hinter ihr herstolperten.
Es folgte eine weitere Zeremonie. Zwei Matrosen kamen mit labbrigen weißen Buchstaben aus Gummi angelaufen und schweißten sie mit einem elektrischen Gerät an den Turm des U-Boots.
»Gott im Himmel!«, dachte Rashida Asafina, als sie den Text las.
Auf der einen Seite des Turms stand in lateinischer Schrift U-1 JERUSALEM, und auf der anderen U-1 AL-QUDS in arabischen Schriftzeichen.
Die wollen Israel angreifen, dachte sie. Mahmud Abbas hat die Wahrheit gesagt. Er hat es gewusst! Und er wusste ebenso gut, dass ich ihm nicht glauben würde. Das war tatsächlich eine Riesensensation, und sie hatte nicht den Schimmer einer Ahnung gehabt.
Nun folgte noch eine kurze Zeremonie. Der russische Doppeladler wurde abgeschraubt und durch eine palästinensische Flagge in der gleichen Größe ersetzt. Nachdem jemand in Handschellen, der sich heftig wehrte, hinübergeführt worden war, legte man ab. Der Trawler verschwand in der Dunkelheit. Die Leute, die auf dem Deck des U-Boots gestanden hatten, zwängten sich einer nach dem anderen durch eine Luke neben dem Turm. Mouna versetzte ihren wackligen Journalistinnen amüsiert einen Knuff und bemerkte, dass es an Bord geeignetes Schuhwerk gebe. Aus den Augenwinkeln beobachtete Rashida Asafina, wie ein Mann in Admiralsuniform sichtlich bewegt Abschied von einem Mann in russischer Uniform nahm, der ihm eine kleine rote Kiste übergab, militärisch korrekt grüßte und auf dem Tanker verschwand.
Fluchend und nervös schlängelten sich Rashida Asafina und Hannah Ruwaida, denen die Röcke bis zur Taille hochgerutscht waren, die schmale Leiter ins Innere des U-Boots hinunter. Hätten die beschissenen hohen Absätze nicht ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, wäre dies Anlass genug für einen gehörigen
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