0744 - Im Land der Spinnen
Die Dämonin verzog das Gesicht und spie aus.
»Du bist ein Narr, Astardis«, behauptete sie. »Noch nie ist es jemandem gelungen, Zamorra zu töten. Seit Jahrzehnten bekämpfen wir ihn, und wir erleiden immer wieder Niederlagen. Und ausgerechnet du glaubst, ihn ausschalten zu können?«
Astardis lachte wieder spöttisch.
»Für das Glauben«, sagte er, »ist die Religion der Sterblichen zuständig. Meine Sache ist das Wissen.«
»Und wie willst du das schaffen?«, fragte sie mit höhnischem Unterton.
»Lass dich einfach nur überraschen.«
Sie schüttelte den Kopf. Natürlich blieb ihr nichts anderes übrig. Er stand weit über ihr in der Hierarchie der Schwarzen Familie. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ausgerechnet er eine Möglichkeit gefunden hatte, den größten und gefährlichsten Feind der Hölle zu vernichten. Daran waren schon andere gescheitert, selbst der legendäre Asmodis.
Und auch ein Dämon wie Astardis hatte bestimmt keine besseren Chancen.
Auch nicht, wenn er so gut wie unbesiegbar war.
Er lebte in einem Versteck irgendwo in den Tiefen der Schwefelklüfte. An einem Ort, den kein anderer Dämon kannte. Dort war er sicher, und jenen Ort verließ er niemals wirklich, egal, wo auch immer er sich herumtrieb. Denn er sandte stets nur einen feinstofflichen Doppelkörper aus. Der konnte jede beliebige Gestalt annehmen, die Astardis sich wünschte. Er handelte, wie Astardis es nicht anders täte, denn das Bewusstsein des Dämons kontrollierte und steuerte das Double. Jeder, der mit ihm zu tun bekam und nicht wusste, dass der eigentliche Dämon sich an einem ganz anderen, sicheren Ort befand, musste glauben, mit ihm selbst zu reden oder gegen ihn selbst zu kämpfen.
Der Doppelkörper konnte verletzt oder zerstört werden, wenn die Magie des Gegners stark genug dafür war. Aber das störte Astardis nicht, denn er selbst überlebte ja. Er verspürte nicht einmal Schmerzen. Aber er konnte unverzüglich einen neuen Doppelkörper entstehen lassen, der wiederum den Gegner angriff.
Er bedauerte es manchmal, dass er nach Jahrtausenden des Forschens immer noch nicht so weit war, zwei oder noch mehr Doppelkörper zugleich zu erzeugen. Immer wieder stellte er sich vor, wie er damit seine Gegner verwirren und übertölpeln konnte. Aber bis heute war ihm so eine multiple Materialisierung nicht gelungen.
Irgendwann jedoch würde er es schaffen. Dessen war er sich sicher.
Aber im Moment war das irrelevant. Wichtig war es, Zamorra in seine Schranken zu weisen, ihn möglichst auszulöschen. Und damit konnte er zugleich auch Stygia einen gewaltigen Dämpfer verpassen. Er wusste längst, auf welche Weise sie zur Fürstin der Finsternis geworden war. Nicht durch eigenes Können, sondern durch einen üblen Trick.
Damals, als Julian Peters abdankte und die Hölle wieder verließ, weil sie ihm anscheinend zu langweilig war, hatte Stygia eine Botschaft von ihm gefälscht. Er selbst hatte seine Nachfolge nie geregelt. Aber Stygia hatte jenen Text vorgelegt, aus dem hervorging, dass Julian Peters sie, Stygia, zu seiner Nachfolgerin bestimmte.
Und niemand hatte widersprochen, niemand hatte diese Nachricht angezweifelt. Nicht einmal Lucifuge Rofocale, der Vorgänger des Astardis.
Sie alle hatten es einfach hingenommen. Und LUZIFER, der KAISER der Hölle, hatte ebenfalls nichts dazu gesagt und damit wie die anderen auch Stygias Machtergreifung stillschweigend gebilligt.
Hin und wieder glaubte Astardis, dass es LUZIFER längst nicht mehr gab. Stets verbarg er sich hinter einer Flammenwand, die keines Dämons Auge zu durchdringen vermochte. Niemals zeigte er sich in der Öffentlichkeit. Warum nicht? Wäre er einer wie Astardis, hätte er ja zumindest seinen Doppelkörper entsenden können, um Worte an die Schwarze Familie der Dämonen zu richten. Aber er hatte es nie getan, nie, solange Astardis zurückdenken konnte.
In ganz seltenen Fällen gewährte er einem der Erzdämonen eine kurze Audienz. Der letzte, dem dieses Privileg zuteil wurde, war Asmodis. Und der hatte nichts davon berichtet, was er mit LUZIFER besprochen hatte, sondern verließ die Hölle und war bis heute nicht zurückgekehrt. Er ging seinen eigenen Weg.
Aber gab es LUZIFER hinter der Flammenwand wirklich? Oder war er nur noch eine Legende? Asmodis hatte sich dazu niemals geäußert.
Aber wie auch immer - Stygia war unangefochten die Fürstin der Finsternis. Astardis fragte sich, was geschah, falls Asmodis eines Tages
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