Corina 01 - Dämonisch verführt
nicht widersprechen.«
Ich wartete eine Minute, aber er stand auch weiterhin einfach nur da, ganz grimmig und machohaft. Er zeigte mir ein Gesicht, das andere Vampire veranlasste, auf die Knie zu sinken, Entschuldigungen zu brabbeln und zu versuchen, die in teurem Leder steckenden Füße zu küssen. Bei mir hatte es nie funktioniert. »Ah, ich nehme an, der Satz hat noch eine andere Hälfte, denn ich habe wirklich nicht die Absicht…«
»Claire.« Dieses eine Wort brachte mich sofort zum Schweigen.
»Ich hoffe, dass ich dich falsch verstehe«, sagte ich leise.
»Dir liegt etwas an der Menschenfrau, nicht wahr?«
»Wenn du irgendetwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast…«
»Ich habe sie nicht entfuhrt«, sagte Daddy. »Aber ich könnte dafür sorgen, dass sie zu dir zurückkehrt. Ich kann auf die Ressourcen des Senats zurückgreifen, die viel größer sind als deine, wie du zugeben musst.«
»Ich finde sie selbst.«
Er hob eine dunkle, ausdrucksvolle Braue und gab mir sein patentiertes herablassendes Lächeln. »Rechtzeitig?«
Ich antwortete nicht sofort und war in Gedanken mit einem Replay jener Nacht in London beschäftigt. Ich hörte das leise Klacken von Stiefeln auf Kopfsteinpflaster, ein ganzes Stück entfernt, aber näher kommend. Das Geräusch eines ruhigen, gleichmäßigen Schritts, das jahrelang in meinem Kopf widergehallt war. Ich dachte nicht daran, was geschehen war, als die Schritte verharrten, direkt vor meinem Versteck. Nein, daran dachte ich nie.
»Onkel Drac«, wie ich ihn vorlaut nannte, um nicht vor Angst zu bibbern, war das Einzige auf der Erde, das mir echte Angst einjagte. Vielleicht hatte ich zuvor gar nicht darüber gelacht, dass mein Daddy endlich einmal zugab, mich für irgendetwas zu brauchen - es war vielmehr ein hysterischer Anfall angesichts der Vorstellung gewesen, erneut gegen Drac anzutreten. Vor mehr als einem Jahrhundert hatte ich mich mit allem Nachdruck für eine endgültige Lösung des Problems eingesetzt - ihn damals gefangen zu nehmen, war vor allem Glück gewesen. Die vergangenen Jahrzehnte hatten ihm Zeit genug gegeben, jene Nacht tausendmal in allen Einzelheiten zu analysieren, mit einem ebenso brillanten wie unberechenbaren Intellekt, und herauszufinden, wo ihm welcher Fehler unterlaufen war. Dracula verdiente seinen legendären Ruf, auch wenn ein großer Teil davon auf einen viktorianischen Schreiberling zurückging. Er würde den gleichen Fehler nicht zweimal begehen; ich ging sogar davon aus, dass er überhaupt keinen machte.
Vor meinem inneren Auge schwebte ein Bild von Claire. Sie zählte zu den wenigen Freunden, die ich länger als nur für einige Monate behalten hatte. Es war nicht etwa so, dass meine Wutausbrüche sie nicht erschreckten - sie war ihnen nie ausgesetzt gewesen. Vor der Begegnung mit ihr hatte ich mich selbst nie als ein magisches Wesen gesehen, aber es bestand kein Zweifel daran, dass Claire auf mich die gleiche beruhigende Wirkung hatte wie auf Zauber aller Art. Mit einer Nullerin zu wohnen und zu arbeiten, hatte mir fast so etwas wie Frieden und ein normales Leben beschert. Ich drehte noch immer gelegentlich durch, aber nur außerhalb ihres Einflussbereichs, und selbst dort geschah es seltener. Die Vorstellung, nie wieder zu sehen, wie sie vor einem meiner Bilder nachdenklich das Gesicht verzog und herauszufinden versuchte, was ich gemalt hatte, erschien mir unerträglich.
Claire war mehr als nur eine Freundin. Sie stellte auch die einzige Chance für mich dar, meinen Zorn ein für alle Mal zu besiegen. Sie stammte aus einer der ältesten magischen Familien auf der Erde, dem auf Heilung spezialisierten Haus Lachesis - es hatte Zugang zu altem Wissen, das selbst dem Kreis verwehrt blieb. Claire hatte mir einmal gesagt, dass ein ganzer Zweig ihrer Familie allein damit beschäftigt war, nach ungewöhnlichen Heilmitteln, Tränken und Amuletten zu suchen, an so abgelegenen Orten, dass im Vergleich dazu die Antarktis so vertraut erschien wie der Broadway. Ein anderer Zweig forschte in Hinsicht auf neue Behandlungsmethoden, und ein dritter entwickelte schwächende Zauberformeln für den Verkauf an zwielichtige Typen, damit kein Mangel an zahlungskräftigen Kunden mit magischen Problemen herrschte.
Obwohl sie im geschäftlichen Bereich tätig gewesen war und nicht in Forschung und Entwicklung, hatte Claire ihre Kontakte für die Suche nach etwas genutzt, das meine Anfälle lindern konnte. Wegen meines besonderen Stoffwechsels blieben
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