Corina 01 - Dämonisch verführt
töten, nach so langer Zeit? Warum ihm geben, was er wollte?«
»Jedes Mal, wenn Vlad entkam, versuchte er mich zu verletzen, indem er jene angriff, die mir etwas bedeuteten.
Ich musste mich schließlich fragen, wie viel ich für sein andauerndes Leid aufs Spiel setzen wollte.« Benommen beobachtete ich Radu durch eine Lücke in den Jalousien. Die Totenwache hatte ihr rührseliges Stadium erreicht, und Radu wurde an die gewaltige Brust einer schluchzenden Trollin gedrückt, neben der Olga zart und gebrechlich wirkte. Er holte ein Taschentuch hervor und betupfte damit vorsichtig ihre Augen, während Mirceas Stimme meine ramponierten Nerven streichelte. »Ich begriff, dass…gewisse Dinge wichtiger sind als Rache.«
Ich stand abrupt auf und war so zornig, dass ich kaum mehr sehen konnte. »Freut mich für dich, dass du eine solche Erleuchtung hattest!«
»Dorina…«
»Wie viele Menschen starben für deine Rache? Wie viele litten? Du hättest es vor Jahrhunderten beenden können und uns allen viel damit erspart, aber nein. Der große Mircea hat immer recht!« Ich schäumte vor Wut, und plötzlich kam alles aus mir heraus, all die Dinge, die ich seit Jahren kannte und vor denen er die Augen verschlossen hatte. Ich hatte auf diesen Moment gewartet, ihn mir erträumt, und jetzt, da er endlich gekommen war .... fühlte ich mich seltsam hohl.
Noch immer sah ich Louis-Cesares blutigen Körper, und Jonathan, der die zahlreichen Wunden streichelte, die er ihm zugefügt hatte. Ich verstand, was Mircea meinte - ein Tod war viel, viel zu gut für ihn. Ich hätte ihm gern einen für jede Narbe gegeben, aber ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihm auch nur einen einzigen Tod gegeben hatte. Louis-Cesares Ende war ein Trugbild gewesen, mit dem Jonathan mich getäuscht hatte. Der tiefe Schnitt durch den Hals .... Kein Vampir erholte sich so schnell von einer Fast-Enthauptung, nicht einmal ein Meister.
Erst recht kein Meister, der so erschöpft war, dass er nicht einmal aufstehen konnte. Was ich für eine Herausforderung gehalten hatte, war Jonathans Versuch gewesen, mich davon abzuhalten, mein Leben für eine Leiche zu riskieren. Pech für ihn, dass ich mit Vernunft wenig am Hut habe, wenn’s richtig mit mir abgeht.
Jetzt sah ich mich, wie beim letzten Mal, der Aufgabe gegenüber, das Durcheinander aufzuräumen, das Mirceas Rache hinterlassen hatte. War Jonathan wirklich tot? Oder war sein Ende ebenfalls ein Trugbild gewesen? Wir hatten mehrere verbrannte Leichen gefunden, und eine davon könnte er gewesen sein. Aber vielleicht stammten sie alle von seinen kleinen Helfern. Niemand schien genau zu wissen, wie viele Magier er mitgebracht hatte, und daher nützte die Zählung der Leichen kaum etwas. Ich hielt es für das Beste, auf Nummer sicher zu gehen und anzunehmen, dass ein vollkommen durchgeknallter Magier hinter mir her war, zusammen mit wer weiß wie vielen anderen Leuten. Und das alles nur, weil Mircea es auf seine Weise erledigen wollte.
Er stand auf und streckte mir die Hand entgegen. »Nein«, sagte ich warnend. »Lass. Das. Besser.« Die Hand sank an seine Seite.
Nach all den Jahrhunderten der Unwissenheit war die Last der Wahrheit zu schwer für mich. Zusammen mit Louis-Cesares Erinnerungen hatte ich vermutlich genug Albtraummaterial für das nächste halbe Jahrtausend. Und ich konnte überhaupt nichts dagegen tun. Es war vorbei, abgesehen vom Aufräumen. Plötzlich fühlte ich mich sehr müde.
Einige Sekunden lang starrten wir uns an. Trotz der Düsternis bemerkte ich die dünnen Erschöpfungsfalten in seinem alterslosen Gesicht. Mircea sah so müde aus, wie ich mich fühlte, und nie zuvor hatte ich solche Trauer in seinen Augen gesehen. Ich ballte die Fäuste und beobachtete mit einer sonderbaren Art von Entsetzen, wie eine Faust nach oben kam und über die glatte Linie seiner Wange strich. Dann wirbelte ich herum und ging zu Tür - ich wollte weg, bevor ich eine Schwäche zeigte, die ich später bereute.
»Dorina. Wohin gehst du?« Die Stimme war weich, behutsam.
»Zurück nach New York. Zurück in mein Leben.« Ich zögerte, die Hand am Aluminiumrahmen der Tür. »Und Mircea .... Wenn du das nächste Mal jemanden brauchst, der dir einen Gefallen tut .... Ruf nicht mich an!«
Postskriptum
Er rief nicht an. Stattdessen schrieb er. Obwohl ich den Brief fast nicht bekommen hätte.
Seit einem unglückseligen Zwischenfall, bei dem es um fehlenden Morgenkaffee und die frappierende Ähnlichkeit der
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