Cotton Reloaded - Folge 1: Der Beginn
brachten ihn jedoch nicht zur Wache des 5. Reviers, sondern ins Hauptquartier des NYPD in der Park Row.
»Anweisung vom Captain«, sagte Worzcek grimmig. Kein Wort des Bedauerns.
»Was soll das, Worzcek?«, fragte Cotton. »Glaubt ihr Jungs wirklich, ich bieg mal eben um die Ecke, erschlage eine wildfremde Frau und leg mich noch ein bisschen dazu?«
Worzcek sagte nichts. Cotton hatte ihn noch nie leiden können.
Im Hauptquartier nahmen sie seine Fingerabdrücke und eine Speichelprobe. Dann setzten sie ihn in einen Vernehmungsraum und ließen ihn mit einem Kaffee, seinem Brummschädel, der blutverschmierten Uniform und dem Bild der toten Frau in seinem Kopf allein. Und ihrem Handy und der ID-Karte in der Hosentasche. Man hatte ihn nicht mal gefilzt. Zum Glück. Er saß schon tief genug in der Patsche.
Cotton war sicher, dass man ihn über eine versteckte Kamera beobachtete, also hielt er die Hände schön brav gefaltet auf dem Tisch, prokelte sich nur hin und wieder Blutkrusten vom Kragen und versuchte, sich an den Augenblick zu erinnern, als bei ihm die Lichter ausgegangen waren. Der Schlag aus dem Nichts. Die behaarte Faust. Das goldene Aufblitzen. Von einem Ring vielleicht?
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging die Tür auf, und eine junge Frau trat ein. Hochgesteckte blonde Haare, dunkler Hosenanzug wie eine Bankerin. Ihren Bewegungen nach eine Schwimmerin. Sie war schlank und etwas größer als Cotton. Sehr attraktiv. Schmales nordisches Gesicht mit großen Linien. Augen wie Gletscher. Sie sah wirklich sehr gut aus, trug ihre Bluse einen Knopf offener als nötig und schien genau zu wissen, warum. Alles an ihr strahlte Kühle und Überlegenheit aus. Ihre Bewegungen verrieten keinerlei Unsicherheit.
Als sie sich vor Cotton an den Tisch setzte und eine kleine Aktenmappe mit seinem Namen darauf ablegte, wehte ein Hauch von Issey Miyake zu Cotton herüber. Einen Tick zu orientalisch für eine große Blonde, fand Cotton, und auch für das FBI. Zumal der Duft nicht mehr topaktuell war.
»Finden Sie irgendetwas komisch, Officer Cotton, oder warum grinsen Sie?«, fragte die Frau mit ruhiger, angenehmer Stimme.
»Ich habe nicht gegrinst.«
»Doch.« Sie sah ihn unverwandt an und stellte sich vor. »Ich bin Special Agent Philippa Decker. Ich leite diese Untersuchung.«
»Warum ist das ein Fall fürs FBI?«
»Ich stelle hier die Fragen, Officer Cotton.«
Die ganze Zeit sah sie ihn an. Cotton wusste, dass sie seine Körpersprache studierte und auf die kleinen, unbewussten, verräterischen Signale achtete. Cotton machte sich nicht einmal die Mühe, seine Mimik zu kontrollieren. Er wusste, dass es nichts nutzte. Er achtete nur darauf, seine Hände locker auf dem Tisch zu behalten.
Decker öffnete die Mappe und warf einen Blick auf seine Personalakte. Cotton kannte das Spiel und merkte, dass er langsam die Geduld verlor.
»Schießen Sie schon los. Ich würde gern nach Hause und duschen.«
Special Agent Decker blickte auf. »Wie haben Sie es gemacht, Officer Cotton?«
Cotton blieb so ruhig, wie man mit einem Beweisstück in der Hosentasche bleiben konnte. »Ach, kommen Sie, Agent Decker. Ich will nur nach Hause. Es war eine beschissene Schicht.«
»Wie haben Sie die Frau getötet?«
Die Hübsche meinte es tatsächlich ernst. Sie lehnte sich zurück.
»Sie sitzen in der Tinte, Officer Cotton.«
»Ich war es nicht. Wieso hätte ich die Frau umbringen sollen?«
»Sagen Sie es mir, dann sind wir ein gutes Stück weiter.«
»Ich war es nicht, verdammt!«
»Wer dann?«
»Hab ihn nicht erkannt.«
»Dann lassen Sie mal hören.«
Cotton atmete durch. »Officer Brandenburg war kurz um die Ecke, sich einen Kaffee holen. Da habe ich diese Frau gesehen …«
Er berichtete ihr alles, an das er sich erinnerte. Oder fast alles. Brandenburgs Abstecher zu den »Japan-Juwelen« verschwieg er ebenso wie das Handy der Frau in seiner Hosentasche.
Decker hörte ihm ruhig zu, ohne ihn zu unterbrechen oder sich Notizen zu machen. Nur manchmal hob sie die Augenbrauen.
»Und das soll ich Ihnen glauben, Officer Cotton?«, sagte sie schließlich. »Laufen Sie jeder Frau hinterher, die an Ihrem Wagen vorbeikommt?«
Cotton zuckte mit den Achseln. »Wenn sie eine Knarre unter der Jacke trägt. Wer war sie überhaupt?«
Philippa Decker ging nicht darauf ein. Stattdessen wollte sie alles noch einmal von ihm hören. Und noch einmal. Und noch einmal. Zwischendurch hakte sie nach. Wo Brandenburg denn seinen Kaffee geholt habe, da doch
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