Credo - Das letzte Geheimnis
bestätigte, hatte er sich in seinen Jeep gesetzt und war nach New Mexico gefahren. Dort war er ein paar Wochen lang durch die Canyons nördlich von Abiquiú gewandert, ganz allein, um in Ruhe über die Geschehnisse nachzudenken.
Isabella war zerstört, die Red Mesa eine leblose, qualmende Mondlandschaft. Hunderte Menschen waren in dieser Hölle gestorben oder verschwunden. Das FBI hatte schließlich Russell Eddys Leichnam identifizieren können, dank DNA-Proben und Zahnstand, und den Endzeit-Prediger zum Haupttäter erklärt.
Die Red-Mesa-Story, ohnehin schon ein Medienspektakel, nahm nach Flagstaff epische Dimensionen an. Es war die größte Story seit zweitausend Jahren, verkündeten einige Experten.
Das Christentum hatte vier Jahrhunderte gebraucht, um das alte Rom zu erobern. Die neue Religion – die von ihrenJüngern als
Die Suche
bezeichnet wurde – brauchte ganze vier Tage, um sich quer durch die USA zu brennen. Das Internet erwies sich als perfekter Verteiler für das neue Credo – als sei es eigens für die Verbreitung des neuen Glaubens geschaffen worden.
Ford warf einen Blick auf die Uhr. Es war Viertel vor zwölf, und in fünfzehn Minuten würde die halbe Welt, die Gäste von Manny’s Buckhorn eingeschlossen, dem Großereignis beiwohnen, das von der Ranch eines Dotcom-Milliardärs in Colorado live übertragen wurde.
Der Fernseher war ziemlich leise gestellt, und Ford lauschte angestrengt. Hinter dem Nachrichtensprecher war das Kamerabild aus einem Hubschrauber eingeblendet; es zeigte eine ungeheure Menschenmenge, deren Größe von den Medien auf drei Millionen geschätzt wurde. Wie groß sie auch tatsächlich sein mochte, die Masse bedeckte die Prärie um die Farm, soweit das Auge reichte, und der schneebedeckte Gipfel des San Juan Mountain bildete den prächtigen Hintergrund.
Im vergangenen Monat hatte Ford viel nachgedacht. Er hatte Hazelius’ Brillanz erkannt. Das Red-Mesa-Debakel hatte es zu einer Religion gebracht und ihn selbst als den bedeutendsten Propheten und Märtyrer der neuen Bewegung etabliert. Die Red Mesa, Hazelius’ schrecklicher Opfertod und sein tragisches Erbe – das war der Stoff, aus dem Mythen und Legenden entstanden, eine Geschichte wie die von Buddha, Krishna, Medina und Mohammed, die Geburt in der Krippe, das Letzte Abendmahl, Kreuzigung und Auferstehung. Hazelius und die Geschichte von Isabella war nichts anderes, eine Geschichte, die alle Gläubigen miteinander teilten, eine Geschichte, die ihren Glauben belebte und ihnen sagte, wer sie waren und warum es sie gab.
Sie war zu einer der größten Geschichten geworden, die je erzählt worden waren.
Hazelius hatte seine Sache durchgezogen – und zwar brillant. Er hatte sogar recht behalten, was seinen Märtyrertod anging, seine feurige Verwandlung, die Gewissen und Vorstellungskraft der Menschen auf unvergleichliche Weise gepackt hatte. Im Tod war er eine moralische Instanz geworden, ein Prophet und spiritueller Anführer.
Es war schon fast Mittag, und der Barkeeper stellte den Fernseher lauter. Die Mittagsgäste an der Bar – Lastwagenfahrer, Rancher aus der Umgebung und ein paar Touristen – richteten ihre gebannte Aufmerksamkeit auf das Gerät.
Vom Nachrichtenstudio wurde zu einem Reporter vor Ort in Colorado umgeblendet. Der Mann stand in der riesigen Menge und umklammerte sein Mikrophon. Er schwitzte, und sein Gesicht strahlte mit derselben Inbrunst, die auch die anderen Menschen dort erfasst hatte. Sie war wohl ansteckend. Die Leute um ihn herum sangen und jubelten und schwenkten Banner, die eine verkrüppelte, brennende Pinyon-Kiefer zeigten.
Der Reporter begann seinen Bericht, wobei er über den Lärm der Menge hinwegschreien musste, und bezeichnete das Ereignis als »religiöses Woodstock« und eine »Versammlung, geprägt von Hingabe, Mitgefühl und Liebe«.
Na,
dachte Ford,
wenigstens gibt es diesmal weder Regengüsse noch Drogen.
Hinter der Holzbühne stand eine große, rote Scheune im New-England-Stil mit weiß abgesetzten Türen und Fenstern. Die Kamera zoomte auf die Tür. Die Menge wurde still. Genau um zwölf Uhr mittags wurden die beiden Türflügel aufgestoßen, und sechs weißgekleidete Menschen traten ins Sonnenlicht.
Die Menge brüllte wie ein Donnerschlag, wie die Brandung, wie das Meer selbst – prachtvoll, monumental, endzeitlich.
Fords Herz setzte einen Schlag aus, als Kate zur Bühne schritt, ein dünnes, in Leder gebundenes Buch an die Brust gedrückt. Sie war überwältigend
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