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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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menschenleer, die Türen zu den anderen Wohnungen fest verschlossen: obwohl es nichts zu verbergen gab, denn dahinter war nichts – im wahrsten Sinne des Wortes. So kräftig er konnte, trat er gegen eine der Türen; das Holz schien etwas nachzugeben, doch bei genauer Betrachtung war nicht einmal ein Kratzer zu sehen. Das Programm sah nicht vor, daß seine Umgebung Schaden nahm – ob es nun die physikalischen Gesetze verletzte oder nicht.
    Auf der Straße waren Fußgänger und Radfahrer – alles reine Aufzeichnungen. Man hatte den Eindruck, als wären sie körperlich, nicht nur geisterhafte Schemen, aber diese Körperlichkeit war irgendwie unheimlich. Sie waren nicht aufzuhalten, ließen sich nicht stören, gingen unbeirrbar ihrer Wege wie starke, völlig desinteressierte Roboter. Paul sprang auf den Rücken einer gebrechlichen alten Frau, benutzte sie als Reittier. Ohne Reaktion, ohne ihn auch nur zu beachten, trug sie ihn die Straße hinunter. Ihre Kleidung, ihre Haut, sogar das Haar – alles fühlte sich gleich an: hart wie Stahl. Nicht kalt, aber fremdartig und undefinierbar. Neutral.
    Die Straße war eine Art dreidimensionaler Tapete; das war alles, ihr einziger Zweck.
    Wo Kopien aufeinandertrafen, benutzte man billige aufgezeichnete Umgebungen, in denen sich zur Dekoration scharenweise Menschen tummelten. Parks, belebte Plätze, Straßencafés – alles sehr beruhigend, kein Zweifel, wenn man gegen das Gefühl von Isolation und Platzangst ankämpfen mußte.
    Mit einem echten Menschen von draußen konnten Kopien nur in Kontakt treten, wenn ihre Besucher – Freunde oder Verwandte – bereit waren, ihre eigenen Denkprozesse um den Faktor siebzehn verlangsamen zu lassen. Selbst die nächsten, noch so pflichtbewußten Verwandten bevorzugten den Austausch von Videoaufzeichnungen. Wer hatte schon Lust, einen Nachmittag mit seinem Urgroßvater zu verbringen, wenn er dafür eine halbe Woche seines Lebens opfern mußte? Über das Terminal in seinem Arbeitszimmer – das eigentlich dazu dienen sollte, ihm über das Computernetz Zugang zur Außenwelt zu verschaffen – hatte Paul Elisabeth zu erreichen versucht; doch Durham hatte, keineswegs überraschend, auch diese Möglichkeit sabotiert.
    An der nächsten Straßenecke war die optische Illusion nicht zu Ende. Das vertraute Bild der Stadt reichte bis weit in die Ferne – doch als er weitergehen wollte, setzte sich der betonierte Gehweg unter seinen Füßen in Bewegung. Wie ein Laufband glitt er mit genau jener Geschwindigkeit rückwärts, die es brauchte, um ihn auf der Stelle zu halten, ganz gleich, wie schnell er ging. Er machte kehrt und versuchte es mit einem Sprung über das tückische Stück Straße, aber noch im Flug kam ihm der Schwung abhanden, verpuffte wirkungslos – ohne daß auch nur der leiseste Versuch einer physikalischen Rechtfertigung erkennbar wurde –, und er landete mitten auf dem Laufband.
    Die Menschen, die Teil der Aufzeichnung waren, überquerten die unsichtbare Grenze ohne Mühe. Ein Mann kam direkt auf ihn zu; Paul wich nicht von der Stelle – und fühlte, wie die Luft um ihn herum sich plötzlich zu verdichten schien, wie er schmerzhaft zwischen Mann und Barriere eingeklemmt wurde, bevor er sich mit einem Sprung nach der Seite retten konnte.
    Die Vorstellung, daß er mit dem Überwinden dieser Barriere plötzlich »frei« sein könnte, berauschte ihn für einen kurzen Augenblick – aber er wußte, daß das absurd war. Selbst ein Bug – ein Fehler im Programm – würde ihm nicht weiterhelfen: Jenseits der Grenze wartete nichts weiter als eine Umgebung, die zunehmend ›falscher‹ aussah.
    Eine auf Aufzeichnungen beruhende Umwelt konnte nur aus einem engen Blickwinkel heraus die vollständige optische Information vermitteln; alles, wohin er »entkommen« konnte, war eine Umgebung, in der das Bild der Stadt zunehmend verzerrt und lückenhaft wurde und irgendwann in ein schwarzes Nichts überging.
    Halb entmutigt, halb amüsiert trat er von der Straßenecke zurück. Was hatte er denn zu finden gehofft? Eine Tür an der Grenze der Simulation, vielleicht noch ein Schild mit der Aufschrift ›AUSGANG‹, durch die er geradewegs in die Realität hinüber spazieren konnte? Eine Treppe, die – im übertragenen Sinn – zu den Eingeweiden dieser Stadt hinunterführte, in den Kesselraum dieser Welt, wo er nur ein paar Schalter umlegen mußte, um alles in Fetzen zu jagen …? Er hatte kein Recht, mit seiner Umgebung unzufrieden zu sein. Sie war

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