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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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PROLOG
    (Zerhackter, verlangsamter Spielzeugmensch)
    Juni 2045
     
    Paul Durham schlug die Augen auf. Er blinzelte wegen der unerwarteten Helligkeit, dann streckte er träge seine Hand nach einem Fleck aus Sonnenlicht dicht bei der Bettkante. Staubteilchen schwebten durch den Lichtstrahl, der schräg aus einer Lücke zwischen den Vorhängen herabfiel, jedes einzelne nur für einen kurzen Augenblick in die Welt beschworen und wieder aus ihr verbannt. Sie weckten eine Erinnerung seiner Kindheit, dem letzten Mal, daß diese Illusion so bestechend, so hypnotisch erschienen war: Er stand in der Küchentür. Das Licht der Nachmittagssonne schnitt den Raum in Scheiben, und Staub, Mehl und Wasserdampf wirbelten durch ein Band aus Licht.
    Für einen schlaftrunkenen Augenblick, während er noch versuchte, wach zu werden, sich zu sammeln, Ordnung in die Dinge zu bringen, schien es ihm genauso selbstverständlich, die beiden Fragmente nebeneinander zu setzen – das Beobachten sonnenbeleuchteter Staubteilchen heute und damals, vierzig Jahre auseinander – genauso natürlich und logisch, wie dem normalen Fluß der Zeit von einem Augenblick zum nächsten zu folgen. Dann wurde er wacher, und seine Verwirrung schwand.
    Paul fühlte sich vollkommen ausgeschlafen – und äußerst abgeneigt, seinen gegenwärtigen wohligen Zustand zu beenden. Er konnte sich nicht erklären, warum er so lange geschlafen hatte, aber es kümmerte ihn nicht. Er strich mit den Fingern über das sonnenwarme Laken und dachte daran, wieder einzuschlafen.
    Er schloß die Augen und ließ seinen Geist treiben – und stockte, plötzlich unruhig, ohne zu wissen warum. Er hatte etwas Dummes getan, etwas Verrücktes, etwas, das er schon bald bitter bereuen würde … doch die Einzelheiten blieben flüchtig, und bald keimte in ihm der Verdacht, daß es nur die nachklingende Stimmung eines Traumes war. Er versuchte, sich so gut er konnte an seinen Traum zu erinnern, allerdings ohne viel Hoffnung; wenn ihn nicht ein Alptraum aus dem Schlaf riß, waren seine Träume meist schon beim Erwachen vergessen. Und doch …
    Mit einem Satz war er aus dem Bett, warf sich fast auf den Teppichboden, kauerte dort, die Fäuste gegen die Augen gepreßt, das Gesicht auf den Knien, während seine Lippen unhörbare Laute formten. Die Erkenntnis war ein Schock, mit Händen zu greifen: Seine tastenden Finger spürten die pulsierende, dunkle Stelle hinter den Augen … wie der Bluterguß am Daumen nach einem Hammerschlag – und sie ging einher mit der gleichen seltsamen Gefühlsmischung aus Überraschung, Wut, Demütigung und idiotischer Verwirrung. Eine weitere Kindheitserinnerung: Ja, er hielt einen Nagel gegen das Brett – um seine wahre Absicht zu verschleiern. Er hatte zugesehen, wie der Vater sich auf diese Weise mit dem Hammer verletzt hatte – aber er wußte genau, er benötigte seine eigenen Erfahrungen, um die Geheimnisse des Schmerzes zu verstehen. Und er war sicher gewesen, daß es das wert war, noch in dem Augenblick, als der Hammer niedersauste …
    Er wiegte sich vor und zurück, unterdrückte ein hysterisches Lachen, versuchte, seinen Verstand zu klären, wartete, daß seine Panik versiegte. Schließlich funktionierte es – aber nur, um einem einfachen, alles beherrschenden Gedanken zu weichen: Ich will hier weg!
    Was er sich selbst angetan hatte, konnte nur das Werk eines Wahnsinnigen sein – es mußte ungeschehen gemacht werden, so rasch und schmerzlos wie möglich. Wie konnte er je geglaubt haben, er würde zu einem anderen Schluß als diesem kommen?
    Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Gewissenhaft hatte er seine Vorbereitungen getroffen; er hatte damit gerechnet, daß seine Reaktionen so ausfallen würden. Alles war geplant. Wie schrecklich er sich in diesem Augenblick auch fühlte, sein Verhalten entsprach den Erwartungen. Panik, Reue, dann Einsicht, Sich-Fügen.
    Immerhin, die beiden ersten hatten sich schon eingestellt.
    Paul nahm die Hände von den Augen und blickte sich in seinem Zimmer um. Abgesehen von einigen wenigen, von der Sonne grell beschienenen Tupfen lag alles in mattem, diffusem Licht: die weißlasierten Ziegelwände, die Möbel aus imitiertem (imitiertem) Mahagoni, die Drucke an den Wänden – Bosch, Dali, Ernst und Giger –, die nun harmlos, ja gefällig wirkten. Wohin er auch blickte (und nur genau dort!), die Simulation war einfach perfekt. Er schuf seine Umgebung, indem er den Blick auf sie richtete; der Verlauf der (hypothetischen)

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