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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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K APITEL EINS
    Bei Einbruch der Dämmerung blies ein heftiger Sturm vom Atlantik her aus West-Südwest und wühlte die See auf. Die gesamte erste Wache hindurch tauchten bleiche Schaumkronen aus der Dunkelheit auf, hochgedrückt von geisterhaft zischenden Wogen, die gegen das Vorderdeck schlugen und das Schiff erschütterten.
    Unmittelbar nach acht Glasen kam ein dünner, hagerer Mann aus dem Niedergang aufs Quarterdeck, bewegte sich vorsichtig und in geduckter Haltung über die rutschigen Planken und schaute sich ängstlich um. Als er sah, dass sich ein Brecher über das Deck ergoss, eilte er taumelnd luvseits zu den Wanten, doch da umspülte das Wasser bereits seine Knie. Die schlingernde Fregatte krängte stark zur Leeseite, und ein Windstoß wehte dem Mann, Griffiths, Gischtfetzen ins Gesicht.
    »Sind Sie das, Doktor?«, war eine Stimme in dem Wind zu hören.
    Ein Blitz beleuchtete den Master, der keine zwei Fuß von Griffiths entfernt stand, mit blassem, tropfnassem Gesicht. Den Hut hatte er sich bis zu den Augenbrauen gezogen und mit einem blauen Band aus Baumwolle unter dem Kinn festgezurrt.
    »Ich brauche mehr Männer an Deck!«, schrie der Master dem Doktor fast ins Ohr.
    »Ich habe Ihnen alle Männer geschickt, die gehen können, Mr Barthe«, antwortete der Schiffsarzt und legte dabei die Hände wie einen Trichter an den Mund. »Die anderen sind zu krank, um sich auf den Beinen zu halten.«
    »Dann ist es wohl das Gelbfieber, wie? So sagen jedenfalls die Männer.«
    »Nein, Mr Barthe. Es muss an verdorbenen Nahrungsmitteln liegen - vermutlich am Schweinefleisch, das die Männer heute gegessen haben. Aber so schlimm habe ich es noch nie erlebt. Die Männer können nicht mehr stehen und müssen sich dauernd übergeben. Das hält keiner lange aus. Ich hatte gehofft, Sie könnten noch ein paar Matrosen entbehren, die mir zur Hand gehen ...«
    »Das geht nicht, Doktor. Ich musste schon die Schiffsjungen und Reffer bis ganz nach oben schicken, die dort gar nicht hingehören. Ich kann keinen Mann mehr entbehren.«
    Das Schiff geriet wieder ins Schlingern. Wasserfluten ergossen sich über Deck und spülten die Männer beinahe fort. Der Doktor spürte, wie Mr Barthe ihn an den Schultern festhielt, damit er nicht fortgerissen würde. Da sagte der Master wieder etwas, doch eine kräftige Böe riss ihm die Worte von den Lippen.
    In der Ferne schlugen Blitze fächerartig ins Meer und beleuchteten für einen Moment die tosende See und die Takelage. Vier Mann rangen mit dem Steuerrad. Ihre Augen wirkten eingefallen, ihre Gesichter schimmerten schwach bläulich.
    Ein Junge kämpfte mühsam gegen den Wind an und zog sich, Hand um Hand, an den Manntauen entlang. Als ein weiterer Blitz über den Himmel zuckte, glitt der Junge aus und fiel hin, doch er zog sich an dem gespannten Tau wieder auf die Beine. Atemlos und erschrocken erreichte er die beiden Männer.
    »Mr Barthe!«, rief er. »Wir haben Penrith verloren!«
    »Was, zum Teufel, meinst du mit ›Wir haben ihn verloren‹?«
    »Er ist mit uns nach oben geklettert, aber niemand hat ihn wieder nach unten kommen sehen. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist.«
    »Habt ihr denn nicht durchzählen lassen, als ihr wieder an Deck kamt?«
    Der Junge zögerte. »Nein, Sir.«
    Der Master fluchte. »Ist er vielleicht auch krank geworden und hat sich unten gemeldet?«
    »Williams hat überall nach ihm gesucht. Wir fürchten, er ist unbemerkt über Bord gegangen.«
    »Verflucht sei diese Nacht! Schick Mr Archer hinunter zu Kapitän Hart!« Der Master wollte fort und stemmte sich gegen den Sturm, wandte sich aber noch einmal an den Schiffsarzt. »Gehen Sie wieder nach unten, Doktor. Hier können Sie nichts machen. Mir wäre es lieber, Sie wären bei so einem Wetter unter Deck.«
    Griffiths nickte zustimmend und trat den Rückweg zum Niedergang an. Ein letztes Mal sah er zu Barthe und einigen anderen Matrosen in der Kuhl des Mittelschiffs, die zu den Rahen hinaufblickten. Auf der schmalen Stiege im Niedergang musste er sich festhalten, da die Stufen beim Rollen und Stampfen des Schiffes zu springen schienen. Kaum hatte er das Zwischendeck erreicht, da musste er bereits den paar Männern Platz machen, die nach oben stapften, um die Wache zu übernehmen. Als auch der letzte Matrose fluchend in die heulende Nacht gegangen war, kamen die anderen Männer unter Deck. Sie rutschten auf den nassen Stufen aus, eingehüllt von sprühenden Gischtfetzen, die in dem schmutzigen Lichtkreis

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