Jenseits von Uedem
1
Ihm war sterbenselend.
Mit beiden Händen klammerte er sich an die Kloschüssel, um nicht nach vorn zu kippen. Er konnte nicht aufhören zu würgen, obwohl schon längst nichts mehr rauskam. Kalter Schweiß stand ihm auf der Oberlippe und in den Augenbrauen, sammelte sich in seinem Nacken.
»Gerhard?« Fritz bollerte an die Klotür. »Was ist los? Bist du da drin?«
Er würgte eine Zustimmung.
»Kann ich was tun? Komm, ich bring' dich nach Hause.«
Zitternd richtete Gerhard te Laak sich auf und schüttelte den Kopf hin und her, um das Schwindelgefühl zu vertreiben, dann entriegelte er die Tür und tastete sich hinaus.
»Nee, laß mal, geht schon wieder.«
Sein Freund sah ihm zweifelnd ins wachsgraue Gesicht.
»Das ist doch nicht normal. Jetzt bist du schon zum vierten Mal hier unten. Du hast dir bestimmt was Fieses eingefangen.«
»Ach Quatsch«, grunzte te Laak, »ich hab' bloß was Falsches gegessen.«
Er wankte zum Waschbecken, drehte den Kran auf und schaufelte sich mit den Händen Wasser ins Gesicht. Es war lauwarm. Als er sich im Spiegel sah, erschrak er.
Er probierte ein Grinsen. »Komm, laß uns wieder hochgehen. Ich trink' mir noch ein Alt. Das beruhigt den Magen.«
Er mußte sich am Treppengeländer festhalten, um die Stufen nicht zu verfehlen, aber als sie ins Foyer hinaufkamen, waren seine Schritte schon wieder sicherer.
Die Stimmung auf der >Herrensitzung< schlug Wogen; in der Bütt schilderte Hein Pitz seine letzte Thailandreise und erntete eine >Rakete< nach der anderen.
Te Laak und sein Freund drängelten sich zwischen den Stühlen nach vorn bis zu Tisch 7, wo die anderen Jungs saßen.
»Na, Gerd«, klopfte ihm Willi auf die Schulter, »geht et wieder?«
»Klaro«, griente te Laak und war froh, daß er wieder saß.
»Laß mal 'n Bier rüberwachsen.«
Der Kellner hatte ihnen ein Tablett mit zwanzig Alt dagelassen, damit die Herren sich ausreichend bedienen konnten.
Te Laak kippte das Bier auf ex und wischte sich über den Mund.
Sein Darm machte eine quälende Umdrehung. Te Laak unterdrückte ein Stöhnen und stemmte sich langsam aus dem Stuhl hoch. Jemand schien ihm ein Messer in den Bauch gerammt zu haben und drehte es jetzt langsam hin und her.
Er würgte laut, wässeriger Durchfall lief an seinen Beinen herab. Seine Knie gaben nach, er schlug mit dem Kinn an der Tischkante auf, sackte zu Boden und erbrach sich.
Da lag sein verkrümmter Körper zwischen Tischbein und Stuhl. Er hatte keine Schmerzen mehr.
Willi schlug ihm auf die Wangen, rüttelte an den Schultern. Der Hausmeister kam gelaufen, ein Kellner. Die Herren in der Umgebung waren aufgesprungen und starrten erschrocken auf die leblose Hülle.
Er fühlte sich warm und fröhlich und verstand die Aufregung nicht.
Der Hausmeister hievte den Körper hoch, der Kellner faßte mit an. Zusammen schleppten sie ihn hinaus und die Treppe hinunter in den Garderobenraum. Willi, Fritz und die anderen kamen hinterher.
Der Kopf schlug hart gegen die Wand.
»Mein Gott, Sie brechen ihm ja alle Knochen«, schnauzte Fritz.
»Er atmet nicht«, stöhnte Willi.
»Rufen Sie den Notarzt«, bellte der Hausmeister den Kellner an.
Sie legten seinen Körper auf den Steinboden vor dem Toiletteneingang. Alle redeten durcheinander.
Was für ein Theater!
Te Laak hörte Fritz denken: »Vierzig Jahre kennen wir uns. Der kann doch jetzt nicht einfach sterben!«
Er liebte ihn dafür.
Da kam Papa.
»Komm«, sagte Papi und lächelte. »Ich freue mich, daß du bei mir bist.« Er nahm ihn bei der Hand, so wie früher, als er noch klein war. »Komm, mein Junge, wir wollen gehen.«
Es war so gut, ihn wiederzusehen!
Zwei Sanitäter mit einer Trage kamen die Treppe heruntergestürzt, der Notarzt mit einem orangefarbenen Koffer. Komisch, der hatte gelbe Gummistiefel an.
Sie schoben einen Tubus und ackerten wie wild an dem Körper herum. Was für eine Hektik!
Die anderen standen stumm am Garderobentresen. Fritz weinte.
»Komm«, sagte Papa, »es wird Zeit.«
Hinter dem großen Tor war ein herrliches, strahlendes Licht. Er ging hindurch und fühlte nichts als Frieden.
»Exitus«, sagte der Notarzt und hob hilflos die Schultern.
Astrid Steendijk, die junge Kommissarin vom K1, hatte sich an diesem Karnevalswochenende freiwillig zum Dienst einteilen lassen. Sie verabscheute den ganzen aufgesetzten Frohsinn, die schwachsinnigen Gesänge und vor allem das Gegrabsche der Kerle, die sich in ihrem Suff für unwiderstehlich hielten.
Der Tag heute war
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