Cypherpunks
bewirkt. Es gab Tausende von ihnen, die sich parallelisiert haben – dieselbe Richtung eingeschlagen haben –, und auch das ist wieder dezentralisiertes politisches Handeln. Es ist eine dezentrale politische Bewegung, die wir da erleben. Google mag der größte Akteur gewesen sein, der dir unter den andern aufgefallen ist.
JULIAN: Tja, jedenfalls hat der Kongress gesagt, dass er ihm aufgefallen ist.
JACOB: Ich habe da ein kleines Problem mit dem, was Jérémie eben gesagt hat, denn im Grunde vertrittst du da die Idee einer politischen Avantgarde. Ich glaube nicht, dass es in deiner Absicht lag, aber das hast du getan, und ich möchte dich gleich hier bremsen, denn die Peer-to-peer-Bewegung ist ausdrücklich gegen eine politische Avantgarde. Sie ist die Idee, dass wir alle Gleiche unter Gleichen sind und miteinander teilen können; wir leisten vielleicht unterschiedliche Beiträge und erfüllen unterschiedliche Funktionen. Ross Anderson hat einmal zu mir gesagt: »Als ich vor 50 Jahren zur Peer-to-peer-Bewegung gestoßen bin«, eine geniale Einleitung, wie ich finde, und er hat mir dann erklärt, wie wichtig es ihm sei, dass die Erfindung der Druckerpresse niemals rückgängig gemacht wird. Denn wenn wir damit beginnen, Dienste zu zentralisieren, wenn wir anfangen, die Kontrolle über Informationssysteme zu zentralisieren, fangen wir tatsächlich an, die Erfindung der Druckerpresse rückgängig zu machen, in dem Sinn, dass der Verlag der Encyclopædia Britannica keine Bücher mehr druckt, sondern nur noch CD-ROMs: Wenn du keinen Allzweckcomputer hat, kannst du diese CDs nicht lesen, du hast also keinen Zugang zu diesem Wissen. Im Fall der Encyclopædia Britannica spielt das keine Rolle, weil wir Wikipedia haben und eine Menge anderer Quellen. Aber ich glaube nicht, dass wir als Gesellschaft so weit sind.
ANDY: Ich bin mir nicht sicher, ob Wikipedia als Ressource so besonders gut ist. Ich vertraue keiner einzigen Seite, die ich nicht persönlich umgeschrieben habe.
JACOB: Aber bei der Encyclopædia Britannica ist es doch nicht anders. Sie ist nur eine Quelle unter vielen, und worauf es ankommt, ist die Verifizierung der Daten. Ich will nur sagen, dass wir nicht die Idee einer Avantgarde verfechten sollten, weil das sehr gefährlich ist.
JULIAN: Warte mal, warum eigentlich? Ich bin ein bisschen Avantgarde. Wo ist das Problem damit?
JÉRÉMIE: Ich spreche nicht von Avantgarden, ich sage nur, dass wir neue Werkzeuge in den Händen haben. Wir haben die Druckerpresse erwähnt. Ein anderer Visionär und Freund von mir, Benjamin Bayart, der außerhalb der frankophonen Welt vielleicht nicht so bekannt ist, hat gesagt: »Die Druckerpresse hat die Menschen lesen gelehrt; das Internet lehrt die Menschen zu schreiben.« 88 Das ist etwas ganz Neues, das ist eine neue Fähigkeit, dass alle schreiben und sich ausdrücken können.
ANDY: Ja, aber Filtern wird heutzutage noch wichtiger.
JÉRÉMIE: Sicher, weil alle reden, und viele Leute verzapfen Schwachsinn. Wie dir der Wissenschaftler und Aktivist Larry Lessig und, wie ich schätze, so viele andere Lehrer sagen werden, bringen wir den Leuten das Schreiben bei, aber wenn Studenten ihre Arbeiten abgeben, sind über 99 Prozent davon Mist, und dennoch bringen wir ihnen das Schreiben bei. 89 Und daher verbreiten die Leute natürlich Bullshit im Internet – das ist offenkundig. Aber in der Lage zu sein, diese Fähigkeit zu nutzen, um sich in der Öffentlichkeit auszudrücken, baut deine Sprachfertigkeit nach und nach auf, du bist immer besser in der Lage, an komplexen Diskussionen teilzunehmen. Und all diese Phänomene, die wir beschreiben, beruhen auf bewusst herbeigeführter Komplexität, die wir in kleine Teile herunterbrechen müssen, um sie in Ruhe verstehen und erörtern zu können. Es geht nicht um eine politische Avantgarde, es geht darum, diese neue Fähigkeit, uns auszudrücken, die wir alle in Händen halten, durch das politische System zu kanalisieren, unsere Gedanken zu teilen, Teilzunehmen am Wissensaustausch, ohne einer politischen Partei anzugehören, einem Medienunternehmen oder welche zentralisierten Strukturen auch immer du in der Vergangenheit gebraucht hast, um dich selbst auszudrücken.
INTERNET UND WIRTSCHAFT
JULIAN: Ich möchte drei grundlegende Freiheiten erörtern. Als ich den Führer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, interviewt habe …
JACOB: Wo bleibt der verdammte Drohnenschlag? Was fliegt da oben?
JULIAN: Er unterliegt auch einer Art
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