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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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keine Möglichkeit, ihn zu retten.«
    Cyrion, der sein Mahl beendet hatte, stützte einen Ellenbogen auf den niedrigen Tisch. Er begegnete Roilants Blick mit zwei Augen, die so klar waren wie ein klarer See im Winter, nur sehr viel kälter. »Keine«, bestätigte Cyrion sanft. Die Mischung von überirdischer Unschuld und dämonischer Liebenswürdigkeit war niemals offener zutage getreten. Einen Augenblick lang war Roilant erschüttert. Fühlte sich beinahe abgestoßen. Dieser Mann, dem er sein Leben und Glück anvertraut hatte, was, in Gottes Namen, war er?
    »Sagt mir«, fragte Roilant, »sagt mir aufrichtig, was habt Ihr von dieser Sache gehabt?«
    Cyrion lächelte sein engelsgleiches Lächeln.
    »Das Vergnügen, Euch behilflich gewesen zu sein, mein Lieber. Plus der atemberaubenden Belohnung, die Ihr mir in die ausgestreckte Hand drücken werdet.«
    »Eine Belohnung, über deren Hö he Ihr nie mit mir gesprochen habt.«
    »Habe ich nicht? Ein betrübliches Versäumnis.«
    »Welches vermuten läßt, daß es Euch nicht kümmert, wie viel man Euch bezahlt oder ob man Euch überhaupt bezahlt. Was wiederum vermuten läßt -«
    »Die Erregung der Jagd ist Belohnung genug?« Cyrion wirkte gelangweilt. »Wie schrecklich albern.«
    Roilant sprang auf.
    »Ich bin mit dem Statthalter verabredet. Valias Leichnam ist - ist für den Transport hergerichtet. Anschließend werde ich wahrscheinlich gleich nach Heruzala Weiterreisen. Hier hält mich nichts mehr. Natürlich werde ich mit Eliset korrespondieren und ihr Geld schicken. Die ganze Apanage, auf die sie seit langem Anrecht hatte.«
    »Solltet Ihr das ihr nicht persönlich sagen?«
    »Ich glaube, ich habe genug getan. Ich habe ihr gesagt, daß Mevary in der Höhle getötet wurde und daß Valia - Eliset hat sich eingeschlossen. Sie kann nichts weiter als Verachtung für mich empfinden. Haß vielleicht. Ich hätte sie zur Frau haben können. Bei allem, was sie sagte, sprach sie die Wahrheit. Ja, kh weiß, daß sie Liebhaber hatte. Zum Teufel damit. Was stören sie mich. Aber trotzdem. Ich bin - oder ich war - einer Dame in Heruzala verbunden, die viel besser zu mir paßt, nachdem -«
    »Nachdem Ihr Euch selbst eingeredet habt, daß Ihr so wenig wert seid, daß nur eine schlichte und anspruchslose Frau Euch ertragen kann«, beendete Cyrion gnadenlos den Satz.
    Roilant wurde von einer, für ihn ungewöhnlichen, Wut übermannt.
    »Seid still!« schrie er. »Verdammt, was seid Dir? Eine Kreuzung zwischen Gänseblümchen und Rasierklinge? Eine Art Mischling aus Himmel und Hölle? Ihr habt meine Arbeit für mich getan. Alles andere geht Euch nichts mehr an.«
    »Eigentlich -«
    »Ruhe!« brüllte Roilant wieder. Hob den Weinkrug auf und warf ihn nach Cyrion. Der sich träge duckte. Der Krug zerschmetterte eine der fünf noch unbeschädigten Türen des Pavillons und riß sie aus den Angeln. Krachend fiel die Tür auf das Dach, und Elfenbein splitterte.
    Ohne ein weiteres Wort trat Roilant durch die neu geschaffene Öffnung und gab ihr damit einen Sinn. Am Rand der Dachterrasse bemerkte er: »Euren Lohn wird man Euch schicken.«
    »Oh?« sagte Cyrion. »Und wohin werdet Ihr ihn schicken?«
    »Zum>Olivenbaum<. Also kehrt besser dorthin zurück.«
    Zehn Minuten später ritt Roilant, in der verständlichsten schlechten Laune seines Lebens, gefolgt von seinen Leibwächtern in Richtung Cassireia.
    Unberührt von all diesen Vorgängen ging die verwilderte Landschaft um Flor nach einem geschäftigen Morgen in die dösende Stille des späten Nachmittags über. Innerhalb der dicken grünen Mauern der Obstgärten summten die Insekten, naschten überreichlich und fielen berauscht zu Boden, die Früchte gärten an den Asten und im Gras und verbreiteten ihre alkoholischen Dämpfe.
    Eliset, statt in ihrem Zimmer jetzt in diesem grünen Sonnenkeller aus Wachsen und Vergehen eingeschlossen, stand regungslos wie eine weiße Statue in dem lichten Schattenspiel der Blätter, atmend, schauend, als hätte sie nach hundertjährigem Schlaf das erste Mal wieder die Augen geöffnet.
    Ihr Haar schimmerte grüngolden, wo die Sonne darauf schien, und die weitgeöffneten Augen waren dunkel vor Aufmerksamkeit. Sie trug das zerschlissene Kleid, in dem Cyrion sie zuerst gesehen hatte und dessen Saum jetzt von dem Saft der zerquetschten Früchte fleckig war. Ob sie fröhlich war oder ernst oder traurig, war nicht erkennbar. Sie existierte ganz einfach nur und fügte sich damit nahtlos in die Stimmung des Ortes und

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