Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Prolog
Ein Blick auf das Dunkle, lautlose Wasser des Rheins, und alles war für einen Moment vergessen. Der Hass, die Schmerzen, die Angst.
Eddie ließ das Fahrrad ins Gras fallen, stieg zum Wasser hinunter, setzte sich. Wenn der Rhein nicht wäre. Trug alles weg für ein paar Minuten. Nur die Gedanken blieben. Die Gedanken und das Herzklopfen.
Den Vater töten.
Er zündete sich eine Zigarette an, streckte die Beine aus, hängte die Füße in den Fluss. Die Nikes sogen sich voll. Von unten kroch es kühl die Beine hoch.
Wenn ihn der Hass und die Gedanken zu übermannen drohten, ging er nachts ins Wasser und schwamm. In Deutschland rein, in Frankreich raus. Erst der Altrhein, dann über die Insel, dann der Große Elsässische Kanal. Der Kanal war gefährlich. Einhundertfünfzig Meter Dunkelheit und Kälte, quer durch die Fahrrinnen, zwischen Lastkähnen, Fischerbooten, Sportbooten hindurch, und das bei starker Strömung. Manchmal hörte er eine wütende Stimme von einem der Schiffe, doch meistens sah ihn niemand. Am anderen Ufer blieb er liegen, bis er wieder zu Kräften gekommen war. Dann schwamm er zurück. So wurde er den Hass und die Gedanken los.
Im Winter, wenn das Wasser zu kalt war, rannte er.
Er füllte die Lungen mit Rauch, ließ den Blick wandern. Der Wald gegenüber im Sonnenlicht, flussabwärts am deutschen Ufer die Bootsanlegestelle, dann ging es in einer leichten Linkskurve hoch nach Breisach. Flussaufwärts ein weißer Fleck am Ufer, Dennis, der sich in jeder freien Minute in die Sonne legte und doch immer weiß blieb wie Mozzarella. Der kaum etwas aß und doch immer fett blieb wie eine Qualle.
Ein weißer, schwabbliger Arm hob sich. Eddie winkte zurück. Als er eine Männerstimme hörte, hielt er den Atem an. Eine Frau lachte. Das Geräusch von Fahrradreifen auf dem Weg über ihm. Dann war es wieder ruhig.
Er schnippte die Zigarette von sich, ließ sich zurücksinken und dachte darüber nach, wie das Leben ohne seinen Vater wäre.
»Eddie.«
Er öffnete die Augen und fuhr hoch. Sein Herz raste, und er spürte, dass er die Muskeln angespannt hatte.
Aber es war nur Dennis, eine gelbe Tüte in der einen, das Fahrrad an der anderen Hand. Vorsichtig ließ er das Rad ins Gras gleiten und kam die zwei Meter herunter. »Ich hab Bier, wenn du willst.«
Eddie nickte, und Dennis nahm eine Flasche Ganter aus der Tüte und öffnete sie.
Die Flasche war kühl und nass. Während er trank, dachte er, dass auch Dennis’ Stimme irgendwie weiß und fett war.
Rülpsend setzte sich Dennis neben ihn. Er rülpste und furzte alle paar Minuten. Eddie hatte den Eindruck, dass er es tat, weil er so weiß und so fett war. Dass er sich dachte: Wenn schon hässlich, dann richtig.
Eddie störte sich nicht daran. Er schwamm nachts durch den Rhein, Dennis rülpste und furzte. Irgendwas musste man tun.
Dennis furzte. »Du blutest.«
Eddie berührte die Wunde an seiner linken Wange. Im Schlaf aufgekratzt. Jetzt tat es auch wieder weh. Er hielt die blutverschmierte Hand vor sich, und sie betrachteten sie eine Weile.
»Krass«, sagte Dennis. »Meins ist viel heller.«
»Weiß?«
Sie grinsten. Eddie beugte sich vor und tauchte die Hand ins Wasser. Der Rhein wusch das Blut fort.
Er drehte den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich.
Sie sprachen nicht darüber, und doch schien Dennis zu ahnen, wie die Wunde entstanden war. Weshalb Eddie auch im Sommer nie kurze Hosen oder kurzärmlige T-Shirts trug.
Eddie dachte, dass er ihn mochte, obwohl er keine Ahnung hatte, weshalb. Vielleicht weil Dennis keine Fragen stellte. Oder weil er pausenlos rülpste und furzte. Oder weil sie fast so etwas wie Brüder waren. Sein Vater fickte die Mutter von Dennis.
Die Mutter ging nie in die Sonne und aß für drei und war genauso weiß und fett wie Dennis. Wie Dennis’ Vater aussah, wusste niemand. Nicht einmal seine Mutter, behauptete Dennis. Ich bin von hinten gemacht worden, sagte er, als würde das alles erklären. Die weiße Haut, das Fett, die schlechten Noten in der Schule, und warum das Leben beschissen war.
Eddie wandte sich ab und wusch sich das Blut von der Wange.
»Du kannst das Spiel heute Abend bei mir anschauen, wenn du willst«, sagte Dennis.
Das zweite Halbfinale. Mexiko gegen Argentinien in Dolby Digital, ein Plasmabildschirm, der die halbe Wohnzimmerwand einnahm. Viele Männer fickten Dennis’ Mutter, und manche ließen Geld da.
»Okay.«
Eddie starrte auf sein verzerrtes Spiegelbild im Wasser, und sein Herz
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