Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
die mich zu einer Sammelkasse dirigiert. Sensationell gelegen. Direkt im Blickfeld einer Rolltreppe, auf der viele Menschen auf der Fahrt nach oben gucken,was die da unten an der Kasse so alles eingekauft haben. Und während die nette Kassiererin in aller Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt über den breiten Gummibund meiner zukünftigen Unterhosen fährt, um sie einzuscannen, erzählt sie mir, dass sie ein Fan ist. Mein Fan. Schon lange. Seit der »Drehscheibe« kennt sie mich. Das ist vierzig Jahre her.
Ein riesengroßes Kompliment, vergleichbar einer Größe 48, schätze ich mal. Mindestens.
»Dünn oder Nobelpreis?«
»Wie bitte?« »Dünn oder Nobelpreis?«, fragt eine Freundin.
»Ist doch ganz einfach. Möchtest Du lieber dünn sein und Deine Unterwäsche in Petit kaufen? Oder den Nobelpreis und die Ehre?«
Ich fasse es kaum. Fasse mich kaum.
Mein Zögern, das nur kurz ist.
Meine Antwort, die ebenso beschämend wie ehrlich ist.
Dünn oder Nobelpreis?
»Dünn natürlich.«
Die Hälfte meines Lebens habe ich mit Versuchen zugebracht, mich zu mäßigen. Erfolglos.
Also dünn.
Und den Nobelpreis jenem, der die Anti-dick-Pille erfindet.
5
D er erfolgreiche Autor hat geantwortet.
Es freut ihn, dass mir seine Glücksdefinition gefällt. Er mag sie auch.
»Glück ist die Summe aller Augenblicke, die man im Leben genossen hat.«
Ich bin überrascht. Das hatte ich gefälliger im Gedächtnis. Jetzt klingt es ein wenig karg, spröde, sein Glücksgefühl. Die Summe aller Augenblicke, die man im Leben genossen hat.
Bedeutet das auch, dass man erst am Ende weiß, ob man ausreichend genossen hat? Man zählt die schönen Amselmomente zusammen und stellt fest: Glück gehabt?
Er setzt noch etwas hinzu, der Glücksautor.
»Ich kann«, schreibt er, »auch Liebe so knapp definieren: Liebe ist die Summe aller Beteiligungen am Glück eines anderen.«
Die Summe aller Beteiligungen.
Ich studiere das Wortungetüm und unterdessen greift der Mann vom Katasteramt mit der einen Hand zum Ärmelschoner, mit der anderen zum Lineal.
Ist es schon Liebe, wenn man dem anderen beim Glücklichsein zusehen kann?
Wenn man womöglich sogar die Quelle seines Glückes ist?
»Was fehlt Ihnen noch zu Ihrem Glück?«
Wenn es mir gelingen könnte, darauf nicht mit materiellen Wünschen zu antworten (Geld, Haus am Meer, Cabrio und Lottogewinn), hätte ich sie dann verstanden?
Die Sache mit dem Glück?
6
M itten in diese Phase der nur mühsam kontrollierten Unruhe, des schlecht getarnten Suchens, meldet sich das Fernsehen.
Die Redaktion »Kirche und Leben«.
Perfekt. Wenn das keine frohe Botschaft ist.
Der liebe Gott, der mich seit sechs Jahrzehnten behütet und beschützt, gibt also so eine Art Visitenkarte ab. Gut, unter (s)einem Tarnnamen »Kirche und Leben«. Aber das weiß ich zu deuten. Hinten auf die Karte hat er schreiben lassen: AUSZEIT . Und ein Ausrufungszeichen.
Das Fernsehen bietet mir an, eine Auszeit zu nehmen und zu gucken, was dabei mit mir passiert. Unter Einschluss der Öffentlichkeit. Also mit einem Kamerateam. Was und wo bleibt mir überlassen. Kirche, Mönche, Meditation, Engel, Spirituelles, Atmen, Wellness, alles möglich.
Ich brauche Bedenkzeit. Bin mehr als skeptisch. Unsicher. Will nicht im Fernsehen mein Innerstes nach außen kehren. Habe Angst, dass ich aus dem seit Jahren zur Schau gestellten fröhlichen Gleichgewicht geraten könnte. Die Fernsehfrau, die plötzlich aussieht, als würde sie durchs Leben irren. Als wüsste sie nicht mehr, wo es langgeht. Was ja nicht so ganz falsch ist.
Aber geht das jemanden etwas an? Außer mich?
Ich lasse Zeit verstreichen.
Kein Mut ohne Angst. Die Angst vor der Fernsehkamera, die mich beobachtet. Mut und Neugier siegen.
Ich entscheide mich für ein spirituelles Zentrum in Bayern. Zen-Buddhisten, die Meditationstage machen. Ich weiß weder, was Zen-Buddhisten sind, noch, wie sich Meditation anfühlt. Tagelanges Schweigen gehört zum Programm. Das würde ich gern machen. Schweigen und meinem Inneren zuhören. Eine Aussicht, die den Ausschlag gibt.
Und dann verliere ich an diesem entscheidenden Punkt meines Lebens meinen Lippenstift.
7
E s gab in meinem Leben noch nie einen Roland. Dabei ist an einem Roland nichts auszusetzen.
Rein theoretisch.
Ganz praktisch aber verbindet man mit Namen bestimmte Eigenschaften, oder? Namen rufen Bilder hervor. Ich höre den Namen Bettina und augenblicklich beginnt mein Hirn mit einer Diashow im Zeitraffer. Die
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