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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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mir so viel mehr Zeit bliebe, das umzusetzen, was ich heute, mit 65, vom Leben begriffen habe. Dass es da ist, um gelebt zu werden. Jeden Tag. Heute.
    Nicht morgen. Und übermorgen auch nicht. Jetzt. Hier. Frau in Sessel, vor ihr ein paar Hundert andere Frauen. Auch in Sesseln.
    Welche Rolle spielt Emotionalität in Deinem Job?

    Eine große. Ich will in Menschen reinhören, nahe an ihnen dran sein. Der Grat zwischen nah genug und zu nah ist ein schmaler. Manchmal überschreite ich ihn. Das geht mir dann noch lange nach, ärgert mich.
    Wenn es bei der Sendung »Zimmer frei« in den Gesprächen um sehr persönliche Dinge geht, Angst zum Beispiel, Einsamkeit, ist das nicht jedermanns Sache, finden das viele schräg. Oder sagen wir mal positiv: ungewöhnlich. Mein Freund und Kollege Götz Alsmann bringt es mit der ihm eigenen Ironie auf den Punkt: »Wenn Christine Westermann oben im freien Zimmer über eines ihrer Lieblingsthemen spricht: schlechtes Essen, schlechter Sex, Tod. Dann Betroffenheit, der ganze Mensch eine einzige Lichterkette.«
    Solchen Spott kann ich aushalten, auch darüber lachen.
    Was ich nicht erzähle, dass ich mit meiner Emotionalität, meinem Nähe-Suchen, meiner beinahe kindlichen Neugier mich sehr angreifbar mache. Zwei Tage nach einer Sendung mit einem prominenten Schauspieler, dem während eines Interviews, bei dem er sehr bewegt vom Tod seines Vaters erzählte, die Tränen über die Wangen liefen, las ich in der »Süddeutschen Zeitung« eine Kritik zu ebenjener Sendung. Der Zeitungsjournalist nannte mich gefühlsduselig, peinlich fand er es, wie ich im Gespräch nach emotionalen Reaktionen gierte. »Sie irrlichtert wie ein böser Geist mit einer trüben Funzel durch die Gefühle ihres Gegenübers.« Die Kritik las ich in einem Flugzeug, auf dem Weg in den Urlaub. Bin erst mal auf die Bordtoilette und habe eineRunde geweint. Die Kritik hatte mich heftig getroffen, ich habe sie lange nicht verwunden. Dann muss ja wohl was Wahres dran sein, könnte man mutmaßen. Das mögen andere so sehen.
    Mich hat der Inhalt der Kritik getroffen, aber mehr noch ihr Stil. Das war nicht fair kritisiert, das war persönlich verletzend, verachtend. Man kann überbordende Gefühle nicht mögen, aber ein guter Journalist kann seine Meinung auch so formulieren, dass der Kritisierte nicht als kompletter Schwachkopf und übermotivierter Gefühlsdussel dasteht. Wer kritisiert die Zeitungsjournalisten, hält ihnen den Spiegel vor, zeigt mit dem Finger auf ihre Fehler, ihr Unvermögen, ihre kaum verhohlene Lust am verbalen Zuschlagen?
    Ist übrigens interessant zu beobachten, wie gut es den Fernseh-/Literatur-/Musikkritikern gelingt, Verrisse zu schreiben. Und nur die. Wirklich echtes Lob zu spenden und das dann auch noch gut zu formulieren, ist so viel schwieriger. Vielleicht ein Grund, warum positive Kritiken eher selten zu finden sind.
    Aber warum mich eine einzelne Kritik aus der Bahn werfen kann. Weiß ich nicht. Noch nicht? Wird sich das mit dem Altwerden ändern? Wird das Wissen um meine Stärken allmählich unabhängig werden von dem, was andere über mich sagen? Könnte mir das gelingen, wäre es ein Geschenk.
     
    Er fragt viel, der liebenswürdige Kollege, nach den Kompromissen, zu denen die Arbeit zwingt, nach dem Berufscredo, falls man eines hat. Er fragt, was ich lieber mache, Radio oder Fernsehen, will von Plänen, Wünschen, Träumen wissen.
    Fast zum Schluss der Dauerbrenner, der Klassiker.Jene Frage, die nur erlaubt ist, wenn das Gegenüber ein Journalist ist und beim Fernsehen arbeitet. Oder irgendwas mit Medien macht und damit bekannt geworden ist.
    Bist Du eitel?
    Die Gedankenkette ist mir klar: Fernsehfrau wagt sich in die Öffentlichkeit, setzt sich somit bewusst einem Millionenpublikum aus.
    Klarer Fall von Eitelkeit.
    Könnte es nicht auch sein, dass man seine Arbeit gern macht. Und das zufällig im Fernsehen? Also gehört Öffentlichkeit ganz selbstverständlich dazu, oder?
    Weiß eigentlich jemand von den Nach-Eitelkeit-Fragern, wie viel Professionalität dazugehört, vor einer Kamera zu stehen, wenn man sich gerade mal gar nicht gut fühlt. Zu dick zum Beispiel, zu alt, zu traurig, weil es eine schwierige private Situation zu bewältigen gilt? Ist es wirklich der Eitelkeit geschuldet, wenn man dann im Fernsehen zu sehen ist?
    »Eitelkeit«, hat jemand geschrieben, »ist die zitternde Frage an das Schicksal: Wie werde ich gefallen?« Wenn das der Kern der Eitelkeit ist: Ja, dann bin ich bin

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