Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
ausgeschlossen. Der Parteimann hat noch mehr solch haarsträubenden Unsinn erzählt, ich war derart erzürnt, dass ich einen Leserbrief an jenen »Mannheimer Morgen« schrieb, den sie, leicht gekürzt, veröffentlicht haben. Mit meinem vollen Namen, dem des Gymnasiums und der Klasse, in die ich ging.
»Jetzt ist mal gut, halte Dich ein bisschen zurück«, lamentiert die Flüstertüte neben mir. »Notstandsgesetze, wer erinnert sich noch daran? Da waren die Businessfrauen hier noch nicht mal auf der Welt. Du erzählst wie früher die Oma vom Krieg. Kommst allmählich in das Alter, in dem man bei seiner Raupenfahrt in der Zeitmaschine unbedingt alle mitnehmen will. Vor allem die Jüngeren. Ob sie wollen oder nicht. Passiert Dir in letzter Zeit übrigens häufiger.«
Stimmt. Ich lasse den Leserbrief weg.
Nach ein paar Wochen Kaffeekochen durfte ich dann auch kleine Sachen schreiben. Sieben Zeilen Filmkritik: »Django. Die Geier stehen Schlange«.
Meldungen für den Polizeibericht. Oder Bildunterschriften. Nach ein paar Monaten dann die erste Reportage. Ich habe vier Frauen von der Heilsarmee bei ihrer Tour durch den Hafen, das Mannheimer Rotlichtviertel, begleitet. Ich war eine von ihnen, trug die blaue Uniform, den forschen Hut, eine Klingelbüchse. Ein ziemlich betrunkener Matrose, daran erinnere ich mich noch, nahm mich damals in den Arm und sagte, ich solle mich bloß nicht unglücklich machen, für die Heilsarmee sei ich viel zu jung und viel zu hübsch. Die Reportage stand später auf der ersten Seite des Lokalteils, war der Aufmacher, »von unserer Mitarbeiterin Christine Westermann«. Ich war ungemein stolz und wurde, falls das überhaupt möglich war, noch stolzer, als mein Mathematiklehrer, bei dem ich in der Benotung jahrein, jahraus knapp an einer Sechs vorbeischrammte, in der Klasse vor allen anderen fragte: »Westermann, haben Sie das geschrieben?« Nicken. Und dann von ihm: »Respekt.«
Mehr Lob war nicht drin.
Wie wichtig ist eine gute Ausbildung?
Wichtig natürlich. Aber wichtiger ist, dass man die deutsche Sprache mag, es versteht, mit ihr umzugehen. Das notwendige Rüstzeug geben einem später die erfahrenen Kollegen an den Journalistenschulen, in den Redaktionen mit. Natürlich ist es auch in Ordnung, wenn einer erst mal studieren, ein abgeschlossenes Studium und einen Titel vorweisen will, bevor er in die Praxis geht. Ich finde es allerdings schade, dass heute nur der die Chance auf ein Fernsehvolontariat hat, der auch ein abgeschlossenes Studium vorweisen kann. Ein guter Journalist braucht nicht unbedingt ein Studium. Er braucht Liebe zu seinem Beruf. Ein guter Journalist ist ein Vermittler, einer, der sich freut, die Vielfalt der Sprache zu nutzen. Bei dem eine Messe nicht »ihre Pforten öffnet«, der Winter nicht »vor der Tür steht« und an Weihnachten die Ladenkassen nie »süßer klingen«. Einer, der ohne Synonymwörterbuch auskommt, wenn er etwas erzählen will. Der aus einem Eishockeyspieler keinen »Kufenkünstler« macht. Bei dem Köln Köln bleibt und nicht zur »Domstadt« oder gar »Rheinmetropole« mutiert. Bei dem es keine »Drahtesel« gibt, sondern Fahrräder und eine Maus eine Maus ist und nicht zum »possierlichen Nager« wird.
Was hilft dem promovierten Historiker der Doktortitel, wenn er später als Journalist nicht in der Lage ist, einen komplizierten Zusammenhang zu entwirren, ihn verständlich und klar zu vermitteln? Wenn er sich für genauso klug hält wie sein Gegenüber und schon nicht mehr merkt, wie er sich in den Vordergrund drängt. Was hat der Zuschauer davon, wenn ein Journalist mit Uniabschluss seine Fragen überfrachtet, statt sich zurückzunehmen und den Interviewpartner glänzen zu lassen? Wahlweise infrage zu stellen?
Ich halte mich mal besser zurück, sonst würde ich womöglich noch die Sache mit der Intendantenjacke erzählen. Die ich anhätte, wäre ich mal kurzfristig mit einem Intendanten verheiratet. Gut, muss ja nicht gleich ganz so ernst sein, liiert ginge auch noch. Dann säßen wir abends gemütlich auf der Couch, ich hätte mir seine Intendantenjacke geschnappt, wir guckten irgendwas im Fernsehen, wo gerade mal wieder eine Sendung/ein Interview/ein Text versemmelt würden. Genau dann würde ich mich ein bisschen an meinen Intendanten kuscheln und ihm sehr sachte zuflüstern:
»Du, Lieber, der Doktor Dings/die Doktor Dingsda, ich weiß, der/die hat ein tolles Studium hingelegt, aber vielleicht könntest Du ihm/ihr ja noch ein
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