Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
und wahrscheinlich gibt es nicht viele, die Judas sein möchten!“
Pater Rigoberto lachte.
„Sowohl bei Jesus als auch bei Judas muss ich mir besondere Mühe geben, dass die Köpfe niemandem in unserer Kirchengemeinde ähnlich sehen, mein Junge. Sonst gibt es Ärger und zwar nicht zu knapp!“
„Bei Judas kann ich das verstehen. Da fühlt sich der Betreffende dann wohl beleidigt. Aber bei Jesus?“
„Hast du eine Ahnung! Einen wirklich unter uns lebenden Menschen als Jesus zu malen, wäre respektlos gegenüber dem Herrn.“
Als Leonardo am nächsten Tag das Haus der di Gioias verließ, ging er nicht auf direktem Weg zu Pater Rigobertos Kirche. Stattdessen fragte er sich zum Haus der Familie Scirea vor. Bei ihr war Bartolo schließlich angestellt, wenn es stimmte, was er gehört hatte.
Das Haus war nicht ganz so prächtig wie das der di Gioias. Vielleicht konnte er ja noch etwas mehr über Bartolo herausfinden. Also postierte er sich auf der anderen Straßenseite und wartete. Er setzte sich auf eine Treppe, von der aus der Eingang des Hauses der Familie Scirea sehr gut zu beobachten war.
Mehrere Stunden saß er da. Aber es tat sich nichts. Von Bartolo war nichts zu sehen. Einmal trat ein Mann aus dem Haus. Er trug eine reich verzierte Weste. Sein Haar war schwarz und nach hinten gekämmt. Um das Kinn trug er einen Spitzbart.
Der Mann blickte Leonardo einige Augenblicke lang direkt an, dann ging er wieder ins Haus.
Schließlich kam Leonardo zu dem Schluss, dass es sinnlos war, länger darauf zu warten, dass hier irgendetwas Interessantes geschah. Vielleicht arbeitete Bartolo inzwischen auch nicht mehr für Enrico Scirea und hatte längst die Stadt verlassen, nachdem ihm Leonardos Anblick so einen Schrecken versetzt hatte.
Leonardo ging schließlich und besuchte den Pater in seiner Kirche. Dieser hatte die Arbeiten an seinem Gemälde inzwischen fortgesetzt und einen weiteren Kopf fast fertiggestellt.
Es war der römische Soldat neben dem Hauptmann.
Und wieder war Leonardo wie vom Donner gerührt. Ungläubig starrte er auf das Gesicht und glaubte für ein paar Herzschläge seinen Augen nicht trauen zu können.
„Diesen Mann kenne ich auch!“, stieß er hervor.
„Du scheinst viele Bekannte in Florenz zu haben – was um so erstaunlicher ist, da du doch gar nicht hier wohnst“, gab Pater Rigoberto zurück. Währenddessen führte er gerade die letzten Striche am Gesicht aus, sodass es die endgültige Form bekam.
„Ihr seid als Priester doch zum Schweigen verurteilt, wenn ich Euch etwas anvertraue, oder?“, fragte Leonardo.
„Das habe ich dir ja schon erklärt. Warum fragst du?“
„Ich möchte ausschließen, dass Ihr das, was ich Euch erzähle an Bartolo weitergebt. Denn er kommt doch jeden Mittwoch zur Beichte, oder?“
Leonardo hatte dem Gespräch zwischen Bartolo und Pater Rigoberto entnommen, dass er normalerweise Mittwochs zur Beichte ging. Aber er wollte sich vergewissern.
„Wann Bartolo hier her zur Beichte kommt, spielt keine Rolle“, sagte Pater Rigoberto. „Es hat keinen Sinn zu versuchen, mich auszufragen.“
„Ich versuche nicht, Euch auszufragen.“
„Für mich klang das aber so.“
„Nein, ich möchte einfach nur sicher sein, dass Ihr Bartolo nicht erzählt, dass ich vor dem Haus der Familie Scirea auf ihn gewartet habe, um ihn zu beobachten. Aber ich habe ihn nicht gesehen. Stattdessen nur diesen Mann!“ Leonardo deutete auf das letzte Gesicht, das Pater Rigoberto gemalt hatte. „Ist das Enrico Scirea?“
„Ja.“
„Es wundert mich, dass er es sich leisten kann, auf das Bild zu kommen.“
„Warum?“
„Ich habe gehört, dass seine Geschäfte schlecht gehen.“
Pater Rigoberto lächelte. „Was du alles hörst! Hilf mir jetzt die Pinsel waschen!“
„Ja.“
Auch während sie die Pinsel wuschen musste Leonardo immer wieder zu dem Bild hinsehen. Er merkte, dass Pater Rigoberto ihn dabei beobachtete - so als würde er darauf warten, dass der Junge etwas ganz Bestimmtes bemerkte.
„Darf ich Euch etwas fragen, Pater Rigoberto?“
„Du fragst doch sowieso“, erwiderte der Geistliche. „Auch wenn ich jetzt nein sagen würde.“
Leonardo musste schmunzeln. „Nein, das stimmt nicht, ich würde etwas abwarten, bis ich es noch einmal versuche.“
„Siehst du! Und nun stell deine Frage.“
„Belastet es Euer Gewissen eigentlich sehr, dass ihr mir nicht helfen dürft?“
Der Pater sah den Jungen eine Weile an und nickte schließlich.
„Ja“, sagte er.
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