Dämmerung in Mac's Place (German Edition)
die Tür, bevor er den Schlüssel benutzte. Sie war nicht abgeschlossen. Er sah Erika McCorkle an, und sie zuckte mit den Achseln. Haynes öffnete die Tür, sie traten ein und befanden sich in einer leeren Diele. Rechts war das Wohnzimmer. Links eine alte Garderobe mit Spiegel, möglicherweise antik. An der Garderobe hing ein Dufflecoat. Direkt vor ihnen führte die Treppe ins erste Stockwerk hinauf.
»Jemand zu Hause?« rief Haynes.
Statt einer Antwort ertönte ein hämmerndes Klopfen, das aus einem Schrank unter dem Treppenaufgang zu kommen schien. Als sie an die Schranktür kamen, drehte Haynes am Knopf. Sie war verschlossen. Er klopfte an die Tür, und erneut kam das Hämmern.
»Knacken Sie das Schloß«, sagte Erika McCorkle.
»Womit?«
»Mit einer Kreditkarte.«
Er ignorierte ihren Rat und inspizierte die Tür. Sie schien dick und solide und von einem Tischler eingehängt zu sein, der über dem Fußboden die übliche Dreiviertel-Zoll-Spalte gelassen hatte.
Er wandte sich zu Erika McCorkle um und fragte: »Haben Sie an Ihrem Wagen schon mal ein Rad gewechselt?«
»Klar.«
»Kennen Sie das Ding, das die Schrauben vom Rad löst?«
»Der Radmutternschlüssel.«
»Den könnte ich gebrauchen.«
Keine zwei Minuten später war sie mit dem Werkzeug zurück. Erleichtert sah Haynes, daß ein Ende des Schlüssels eine flache Spitze eines Brecheisens hatte, mit der man Radkappen ablösen konnte. Er benutzte das Kopfende des Schlüssels, um den Zapfen zuerst aus der oberen und dann aus der unteren Türangel zu schlagen. Nachdem er die Finger beider Hände unter die Türkante geschoben hatte, riß er sie ruckartig hoch, und sie löste sich aus den Angeln.
In dem Schrank lag zwischen den Gummistiefeln, alten Schuhen und zwei Paar uralten Galoschen eine Frau auf dem Rücken. Sie trug eine gestrickte blaue Rollmütze. Ein fünf Zentimeter breiter Streifen Klebeband war über ihren Mund geklebt. Außerdem trug sie eine alte lederne Pilotenjacke und eine gerade Bluejeans, die in teuren Reitstiefeln steckte. Die Stiefel waren mit Klebeband an den Knöcheln zusammengebunden. Ihre offensichtlich gefesselten Hände lagen unter ihr.
»Lösen Sie das Isolierband von ihrem Mund«, sagte Haynes.
»Inzwischen suche ich etwas, um sie loszuschneiden.«
Erika McCorkle nickte und kniete sich neben die Frau.
Haynes drehte sich um und betrat das Wohnzimmer, das sechzig bis siebzig Jahre alte Möbelstücke enthielt, die nicht recht zueinander paßten und hauptsächlich um den Kamin herum standen. Eine offene Schiebetür trennte das Wohnzimmer vom Eßzimmer, das in ein Büro umgewandelt worden war, in dem zwei ramponierte Metallschreibtische und zwei ziemlich neue Metallaktenschränke mit je vier Schubladen standen. Außerdem gab es zwei Telefone in dem Zimmer, eins auf jedem Schreibtisch, eine IBM-Typenradschreibmaschine und einen Personal-Computer. Eine Pendeltür führte vom Eßzimmer/Büro in die Küche, wo Haynes ein Schälmesser mit scharfer Klinge fand.
Er eilte zu dem Schrank unter der Treppe zurück. Das Band war entfernt worden, und die Frau saß jetzt an die Rückwand des Schranks gelehnt, die Füße noch gefesselt, die Hände noch hinter dem Rücken. Sie blickte zu Haynes hoch und flüsterte: »Mein Gott!«
»Mr. Haynes«, sagte Erika McCorkle, »darf ich Sie mit Ihrer ehemaligen Stiefmutter Letitia Melon bekanntmachen. Letty, das ist Steadys Sohn Granville.«
16
Letty Melon war keine strahlende Schönheit, aber eine bemerkenswerte Frau von Anfang Vierzig mit kurzem, dunklem Haar, Augen von einem derart tiefen Blau, daß sie fast schon violett schienen, und einer schleppenden Sprechweise als das Vermächtnis Virginias, die sie benutzte, um ihre unmittelbaren Bedürfnisse anzumelden.
Ihr dringlichstes Bedürfnis, sagte sie, sei es, zu pinkeln. Danach benötige sie einen Drink. »Irgendwo muß hier eine Flasche rumstehen«, sagte sie. »Wenn ihr in der Küche keine findet, seht hinter den Büchern im vorderen Zimmer nach. Dort hatte er gewöhnlich seine Notration.«
Als sie sich wieder zu Haynes und Erika McCorkle in die Küche gesellte, hatten diese im Bücherregal hinter Shirers Aufstieg und Fall des Dritten Reichs und Vidals Klette eine Flasche Scotch gefunden, Erika hatte auch ein Glas Yuban-Instantkaffee und einen Kessel gefunden. Der Kessel auf dem Elektroherd begann gerade zu kochen.
Letty Melon setzte sich an den Küchentisch aus Kiefernholz, griff nach der Flasche Whisky und goß eine großzügige Portion
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