Daemonen in London
„Gehe,
mein Diener! Durchschreite das Tor und säe Unheil und Verderben.
Bereite uns den Weg!“, rief der Erzdämon.
Der
Höllenhund verzog das Maul zu einem teuflischen Grinsen und
entblößte riesige Fangzähne. Er schüttelte sein
mächtiges Haupt, seine Augen glühten rot vor Vorfreude. Er
hatte Hunger, schon seit vielen Jahren – und bald würde er
diesen Hunger stillen können.
„Geh!“,
rief sein Herr erneut und der Höllenhund leistete ohne weiteres
Zögern seinem Befehl Folge.
Mit
einem einzigen, kraftvollen Sprung landete er auf dem steinernen
Absatz vor dem Dämonentor. Das Tor war gerade groß genug
für seinen Leib und auch sonst nicht besonders spektakulär:
eine ovale, bläulich schimmernde Scheibe, die senkrecht auf
einem kleinen Felsplateau schwebte. In dieser riesigen Höhle
wirkte es geradezu winzig – und doch würde es genügen,
damit er auf die andere Seite gelangte.
Wenn
er erst einmal dort sein und seinem Auftrag nachkommen konnte, dann
würde das Tor wachsen - genau wie die Macht seines Herrn wachsen
würde. Er allein hatte die Ehre erhalten, das Tor als Erster
durchschreiten zu dürfen und so Wegbereiter für eine neue
Zeit zu sein - einer Zeit, in der die Dämonen endlich wieder die
Herrscher über London sein würden.
Stolz
blickte er sich um. In der Mitte der Höhle tobten Elmsfeuer in
einer Kuppel aus durchsichtigem Kristall und warfen flackerndes
kaltes Licht auf die Gesichter der Umstehenden. Es waren nicht viele
gekommen, um seinem Abschied beizuwohnen. Lediglich sein Meister und
eine kleine Schar niederer Dämonen standen vor dem Plateau und
blickten ihn an, die niederen Dämonen erwartungsvoll, sein
Meister mit zunehmender Ungeduld.
Der
Höllenhund wusste, dass er eine wichtige Rolle spielte. Vor
genau zehn Jahren war dieses Tor verschlossen worden und ihnen dieser
Weg seither versperrt. In dieser langen Zeit war sein Hunger stetig
gewachsen und hatte ein Ausmaß erreicht, das er kaum noch in
Zaum halten konnte.
Doch
nun war endlich der Zeitpunkt gekommen und das Tor wieder frei. Ein
großer Tag für die Dämonenwelt! Jetzt lag es nur noch
an ihm und er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu scheitern.
Er
überlegte, ob ein lautes Brüllen angemessen wäre, um
die Wichtigkeit dieses Augenblickes noch zusätzlich zu
unterstreichen – doch ein Blick in das Gesicht seines Meisters
ließ ihn schnell anderer Meinung werden. Wenn er hier noch
lange herumstand, dann würde der Meister womöglich einem
anderen niederen Dämon diese Aufgabe übergeben. Einem, der
nicht so trödelte.
Also
begnügte er sich mit dem erneuten Schütteln seiner
imposanten Kopftentakel – er wusste, wie majestätisch das
wirkte -, machte eine Schritt nach vorne und trat durch das Tor.
*
Die
Ankunft auf der anderen Seite war ernüchternd. Der Dämon
wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber bestimmt nicht das.
Er
blickte sich um. Das Zimmer, an dessen Wand das Dämonentor kaum
sichtbar bläulich flimmerte, war zwar geräumig, aber völlig
heruntergekommen. Es handelte sich um ein Dachzimmer, die schrägen
Balken über ihm trugen eine lückenhafte Ziegeldecke, durch
die an vielen Stellen Streifen von Mondlicht auf den dreckigen
Holzboden fielen. Überall lagen Gegenstände herum, von
einer dicken Staubschicht bedeckt. Der Höllenhund konnte ein
paar grob gezimmerte Möbelstücke sowie einige achtlos in
die Ecke geworfene Kisten erkennen.
Als
er sich zur Seite drehte, stieß er mit seinem Hinterleib gegen
eine wackeligen Stuhl, der prompt umfiel und zerbrach. Der Dämon
grunzte. Was für ein kläglicher Durchgang in diese Welt. Er
würde dafür sorgen, dass sein Meister einen prächtigeren
Durchschlupf bekam. Doch dafür musste er erst dessen Macht
vergrößern - und so viele Menschen töten wie nur
möglich.
Seine
Mägen knurrten laut und vernehmlich. Was zögerte er noch?
Er sollte fressen und zwar schnell! Schließlich hatte er all
die Jahre nur auf diesen einen Moment gewartet und sein Appetit war
grenzenlos. Die gespaltene Zunge fuhr über sein lippenloses Maul
und einige Tropfen Speichel fielen zu Boden, formten dunkle,
kreisrunde Flecken auf dem ausgetrockneten Holz.
Der
Höllenhund ging zu dem schmutzigen Fenster an der Dachschräge
und bemühte sich, dabei nicht noch mehr zu zerstören. Er
wusste noch nicht, wo er sich befand, und wollte nicht unnötig
früh durch Lärm auf sich aufmerksam machen.
Ein
Blick durch das Fenster zeigte ihm, dass er mitten in der Stadt
gelandet
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