Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
ERSTER TEIL
PROLOG
Tero Airas gab seinem Sohn einen Klaps auf die Schulter, so wie er es in den letzten zwölf Jahren vor jedem Start getan hatte. Aus dem schmächtigen kleinen Jungen war inzwischen allerdings ein kräftiger Mann mit breiten Schultern unter dem Rennanzug geworden. Und heute lag auf diesen Schultern ein größerer Druck als je zuvor.
»Ich werde mir keinen Schnitzer erlauben«, sagte Roni. »Aber wenn das Auto nicht mitspielt, musst du Marcus schwindlig reden.«
Ronis strahlend blaue Augen im Sehschlitz der Sturmhaube waren ernster als sonst. Tero erkannte darin die gleiche Ekstase wie im Jahr 1995, als er seinen Sohn zum ersten Mal zu einer Formel-i-Rennstrecke mitgenommen hatte - zu genau der Strecke, auf der sie jetzt standen. Damals hatten sie Mika Häkkinen bejubelt, der mit seinem McLaren auf den zweiten Platz gefahren war. »Mach dir keine Sorgen, das Auto wird halten.« Tero musste fast schreien, denn eine Redeflut wie Maschinengewehrsalven aus den Lautsprechern versuchte, die Zuschauer vor dem Start in Stimmung zu bringen. Riesige elektrische Anzeigetafeln ließen abwechselnd spärlich bekleidete, lächelnde Mädchen und Motorölreklame aufleuchten. Ein brodelndes Menschenmeer füllte die Haupttribüne des Autodromo Nazionale in Monza, und Banderolen und Fahnen in unterschiedlichen Farben wurden geschwenkt: Super Nova, Trident Racing, DAMS, Durango, Piquet Sports.
»Nimm die erste Kurve ganz ruhig«, riet Tero.
»Schon gut, gib dir keine Mühe.« Roni schnappte sich Handschuhe und Helm. »Du weißt, was ich meine. Einen Crash können wir uns jetzt nicht leisten.« »Du redest wie die Mutter des Kampffliegers, die ihrem Sohn vor dem Krieg sagt: Flieg immer schön langsam und nicht zu hoch.«
Tero lächelte, weil er spürte, dass sein Sohn der Verantwortung und dem Druck standhielt. Roni hatte genau die Einstellung, die jetzt nötig war. »Du weißt selbst, dass die Entscheidung heute am Start fällt«, sagte Roni, bevor er sich auf den Weg zur Startzone machte, wo sein Auto mit eingepackten Reifen wartete.
Teros Anspannung wurde langsam unerträglich. Gleich würde sich herausstellen, ob mit den Autorennen ein für alle Mal Schluss sein sollte oder ob sich noch eine Chance ergeben würde, das zu erreichen, was sie seit Jahren mit ganzem Herzen wünschten.
Tero blickte zum Himmel und sah eine große dunkle Wolke über der Haupttribüne aufziehen.
Das hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten, dachte er. Er war ja nicht abergläubisch ...
»Jason, was hältst du von der Wolke dort?«, fragte er den britischen Chefmechaniker, der in den Boxen etwas auf seinem Laptop tippte. Den großen Kopfhörer hatte er abgesetzt und um den Hals gehängt. Die Augen nahm er nicht vom Bildschirm, aber er hob den Daumen. »Keine Sorge. Diese Wolke ist ein lonely rider. Die Regenwahrscheinlichkeit liegt unter zehn Prozent. Roni und die Slicks regeln den Rest.«
zent. Roni und die Slicks regeln den Rest.«
Serie wurden vor allem die Fähigkeiten der Fahrer auf die Probe gestellt. Sämtliche Autos hatten gleiche Chassis, Motoren und Reifen, es gab keinerlei Hilfssysteme, die das Fahren erleichterten, keinen Fahrstabilisator, keine Automatikschaltung, keine Startkontrolle. Und weil in der GP2 speziell die 3
Fahrer getestet wurden, führte aus dieser Serie ein direkter Weg in die Formel 1. Hamilton, Rosberg und Kovalainen hatten von hier aus den Aufstieg geschafft, und Roni würde das auch gelingen - falls Marcus Grotenfelt es ihm gestattete.
Tero eilte eine Etage nach oben und blieb vor dem Raum stehen, der für Ronis Rennstall reserviert war. Er atmete tief durch und nahm Haltung an. Während Roni seinen Part auf der Strecke erledigte, erfüllte er, Tero, seine Aufgabe vor dem Monitor.
Er zwang sich zu einem lässigen Lächeln und trat ein. Vor dem großen Bildschirm standen nervöse Leute vom Stall und einige geladene VIPs. Teros Blick fand den braun gebrannten, fünfzigjährigen Marcus Grotenfelt, der mit einem Cognacglas in der Hand auf einer schwarzen Ledercouch saß: Ronis wichtigster Sponsor, strotzend vor Charisma der Sorte >hardboiled<. Der gebürtige Schwede hatte sich die blonden Haare auf Millimeterlänge stutzen lassen, seine Augenbrauen waren ebenfalls blond. Der muskulöse Oberkörper steckte in einem engen weißen T-Shirt und einem schwarzen Sakko. Marcus hielt nicht nur einen Cognacschwenker, sondern auch Ronis Zukunft in der Hand; der Gesamtsieg in der Serie war bereits außer Reichweite,
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