Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
ihr fremd, da war ich mir fast sicher. Es gab auch zwischen ihnen keine Herzlichkeit, keine Wärme, keine Zärtlichkeiten. Aber ich beneidete sie. Wenigstens schien sie etwas zu haben, woran sie sich voll Freude erinnern konnte.
Das Dessert wurde aufgetragen und so wurde ich in meinen Überlegungen gestört. Es gab ein weißes Schokoladenparfait mit Pistazien auf einer feinen Brombeer-Mousse. Unsere Köchin hatte noch verschiedene Creme-Törtchen gezaubert, die ich immer schon über alles geliebt hatte. Dazu gab es Kaffee und für die Damen einen schweren süßen Likörwein aus dem Süden Spaniens. Die Herren am Tisch, Jacques ausgenommen, genossen einen alten schottischen Whisky, der in den höchsten Tönen gelobt wurde. Die Herren zogen sich nach dem erlauchten Mahl in das Raucherzimmer zurück, um bei einer schönen Zigarre und noch mehr schottischem Whisky Geschäftliches zu besprechen. Artig verabschiedete man uns Damen und wünschte uns eine gute Nacht. Ein kurzes peinliches Schweigen breitete sich aus. Meine zukünftige Schwiegermutter unterdrückte gekonnt ein Gähnen, was aber trotzdem dem geübten Auge meiner Mutter nicht entging und so löste sie mit netten Floskeln die Damenrunde auf, wofür wir ihr im Moment wohl alle dankbar waren. Ich war enttäuscht und wollte nun allein sein. Wie schön es wohl gewesen wäre, wenn ich eine Mutter gehabt hätte, die mich noch in meinem Zimmer aufgesucht und mich tröstend und mit lieben Worten in den Arm genommen hätte. Bis zum damaligen Zeitpunkt kannte ich so etwas nicht. Und so war es für mich normal. Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, wartete dort schon Sonja auf mich, um mir beim Auszukleiden behilflich zu sein und mir die Haare auszubürsten. Sie schaute verlegen zur Seite. Durch den Spiegel versuchte ich, ihren Blick zu erhaschen. Es gelang mir nicht. So sprach ich sie an und sagte zu ihr: „Bitte, Sonja, sag mir, was Du weißt. Wenn jemand etwas in Erfahrung gebracht hat, dann doch Du.“ Sie schaute mich kurz im Spiegel an, senkte den Blick und widmete sich voll und ganz meinen Haaren. Ich sprang abrupt von meinen Platz auf und so fiel ihr die Haarbürste aus der Hand. Erschrocken schaute sie mich an und ich flehte sie an. „Bitte, Sonja, sag mir, was Du weißt. Nicht ein einziges Mal hat er mich richtig angesehen, geschweige denn das Wort an mich gerichtet. Seine Eltern genauso wenig. Was weißt Du?“ Sie wiegte ihren im Laufe der Jahre etwas füllig gewordenen Körper leicht hin und her, dann schaute sie mir gerade in die Augen, und endlich, endlich öffnete sie den Mund und sagte: „Ich kann nur sagen, was ich von den Dienstboten der Kastell-Paols weiß.“
„Dann sag es mir doch bitte.“
Sonja erzählte mir an diesem Abend, dass mein Vater kurz vor dem finanziellen Ruin stünde. Entsetzt musste ich an all die Gesellschaften denken, die in den letzten Monaten hier in unserem Haus stattgefunden hatten. An all die Garderobe und all dem dazugehörigen Tand, die von fleißigen Schneidern und Schneiderinnen am laufenden Band geliefert wurden. An die Lieferanten, die sich mit ihren Leckereien die Klinke bei uns in die Hand gaben. Mein Vater und damit die ganze Familie standen vor dem Ruin? Ich konnte es kaum glauben. Sonja sah mir mein Entsetzen an. ´
„ Der Kutscher von Monsieur Kastell-Paol erzählte, dass Dein Vater und sein Herr schon lange Geschäfte miteinander tätigen. Der Monsieur weiß von der Misere Deines Vaters und von ihm kam die Idee, Dich mit seinem Sohn zu vermählen. Was dabei für Deinen Vater herausspringt, kannst Du Dir nun sicher denken. Die Familie Kastell-Paol soll reicher sein als Königin Victoria von England. Unvorstellbar, was?“ Sonja hielt inne.
„ So rede doch weiter“, drängte ich sie.
„ Nun ja, viel mehr weiß ich auch nicht zu berichten. Außer, dass Jacques älterer Bruder vor einigen Jahren einen tödlichen Jagdunfall hatte. Er, ich glaube sein Name war Gerard, sollte eigentlich das Bankhaus seines Vaters und dessen Geschäfte übernehmen. Nach seinem Tod musste diese Aufgabe von seinem jüngeren Bruder, also Deinem Zukünftigen, übernommen werden. Das hat wohl zu einer Art Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn geführt, da Jacques andere Pläne für sein Leben hatte. Nein, schau mich nicht so an, ich weiß nicht, um welche Art von Plänen es sich gehandelt haben soll. Ich weiß nur noch, dass Madame Daphne auf der Seite ihres jüngsten Sohnes gestanden hat, aber sie natürlich auch keine Chance hatte,
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