und der sizilianische Dieb
1
Mrs. Pollifax stand unter ihrem triefenden Regenschirm und fragte sich, warum es so häufig bei Beerdigungen regnete. Ihr Blick wanderte über die nassen Blumen auf dem Erdhaufen und das Dutzend schwarzgekleideter Personen, die mit gesenktem Kopf dastanden, während die Worte Asche zu Asche, Staub zu Staub gesprochen wurden. Auch sie war in Schwarz, und sie trug einen Schleier, der ihre Nase kitzelte und sie zum Niesen reizte.
Standhaft unterdrückte sie es, umklammerte ihr Täschchen fester mit beiden Händen und verlagerte ihr Gewicht vom linken aufs rechte Bein. Aus dem dunklen Grau des Himmels schloß sie, daß der sanfte Regen bald zum
Wolkenbruch werden würde, und gleichzeitig wurde ihr bewußt, daß das letzte Gebet zu Ende war und die Leute ums Grab sich zu rühren begannen, die Augen öffneten und den Kopf drehten.
Ein Mann neben ihr blickte sie an und sagte: »Ein trauriger Tag.«
»Ja«, antwortete sie. Sie bedachte ihn hinter dem Schleier mit einem angemessen vagen Lächeln und öffnete ihre Handtasche, um ihr Taschentuch einzustecken. Es sah nicht so aus, als könnte sie hier noch etwas tun. So warf sie einen letzten Blick auf die Gruppe von Trauergästen und bahnte sich bedächtigen Schrittes zwischen Grabsteinen hindurch ihren Weg zum Ausgang, vorbei am Leichenwagen und einer Reihe von Autos zu einer Limousine, die etwas abseits unter den tropfenden Bäumen stand. Als der livrierte Chauffeur sie kommen sah, stieg er aus, um ihr die Wagentür zu öffnen. Er nahm ihr den Schirm ab, schloß ihn, verneigte sich, und nachdem sie es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte, schritt er wieder um den Wagen herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Als sie vom Parkplatz fuhren, fragte er, ohne sich zu ihr umzudrehen: »Hat es geklappt?«
»Meine Handtasche klickte jedesmal etwas merkwürdig,
wenn ich ein Foto schoß«, antwortete sie. »Aber ich glaube nicht, daß man es von dem Trommeln der Regentropfen auf meinem Schirm unterscheiden konnte.«
»Gut«, sagte Bishop, der Assistent Carstairs von der CIA, und fuhr los. »Ich schlage vor, daß wir so schnell wie möglich zum Hauptquartier zurückkehren, damit Carstairs Ihnen erklären kann, wohin er Sie schickt, und warum.«
»Und an wessen Beerdigung ich eben teilnahm«, sagte sie spitz. Aber da Bishop offenbar nicht die Absicht hatte, jetzt schon etwas zu erklären, lehnte sie sich zurück und fragte sich, ob Cyrus bereits in Chicago angekommen war.
Sie hatte den Tag zusammen mit Cyrus begonnen, der den 9.30-Flug nach Chicago gebucht hatte. Sein Neffe Jimmy war der Hauptverteidiger im sensationellsten Mordprozeß des Jahres, und er hatte seinen Onkel gebeten, ihn mit seiner juristischen Erfahrung zu beraten und zu unterstützen. Mrs. Pollifax hatte beabsichtigt, in einer Woche nachzukommen, sobald der Prozeß lief - zumindest hatte sie es vorgehabt, bis zu Bishops dringendem Anruf um halb sieben.
»Keine Zeit zum Plaudern«, begann er. »Wir erhielten ein SOS von John Sebastian Farrell aus Europa. Er bittet um Ihre und Cyrus' Hilfe - schon morgen mittag.«
Verblüfft hatte sie gefragt: »Farrell arbeitet wieder für Sie?
Aber Weihnachten hat er uns geschrieben, daß er in Mexiko City die Kunstgalerie wieder aufgemacht hat, die er aufgeben mußte, als seine Tarnung aufflog.«
»Erklärungen später. Können Sie und Cyrus noch heute nach Europa abfliegen?«
»Cyrus nicht«, erwiderte sie. »Cyrus, hörst du mit?«
»Ja, mein Liebes«, antwortete er vom Nebenapparat aus im Wohnzimmer.
»Er fliegt in drei Stunden nach Chicago«, erklärte Mrs. Pollifax. »Zum Mordprozeß Bates. Ich fahre ihn in zwanzig Minuten zum Flughafen. Sein Neffe verteidigt Bates.«
»Ihr Neffe James Reed, Cyrus? Scheint vom gleichen Kaliber zu sein wie Sie. Aber das bedeutet - hören Sie«, Bishops Stimme klang verzweifelt. »Kann wenigstens einer von Ihnen? Sie, Mrs. Pollifax? Es geht um Farrell!«
» Was sagst du, Cyrus?« fragte sie. »Bist du noch am Apparat?«
»Ja. Ich sagte immer, ich würde mich nicht einmischen«, brummte Cyrus. »Aber, verdammt, Bishop. Ich muß darauf bestehen, daß sie nicht allein fliegt. In welchen Schwierigkeiten ist er denn?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Bishop. »Er arbeitet nicht für uns, aber wir sind ihm was schuldig, und ein SOS ist ein SOS«, fügte er hinzu. »Wenn Emily es übernimmt, wird Carstairs genau wissen, wen er ihr mitgibt. Ich glaube, ich kann sogar erraten, wer es sein wird, ein gut ausgebildeter Agent, der genug
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