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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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des Lügens und des Verschweigens. Er hatte den Drang, Menschen aufzuschneiden, weil er ihr Innerstes sehen wollte: die Wahrheit, die sie nicht leugnen konnten, weil sie sichtbar, substanziell, wesentlich war. Er glaubte, sein Vater sei Chirurg geworden, weil er ebenfalls auf der unbewussten Suche nach Wahrheit war. Und er glaubte, den Schuldigen gefunden zu haben: ausgerechnet sein Onkel, der Wahrheit predigte und eine Lüge lebte.
    Irgendwann kam ihm die Idee, die Teilnehmer der Seminare, die sein Onkel regelmäßig durchführte, heimlich zu beobachten. Jeden Abend, wenn sie sich wieder auf den Nachhauseweg machten, stand er hinter einem Busch neben dem Eingangstor der Villa. Sabine war ihm gleich aufgefallen, denn sie sah von Mal zu Mal schwächer und verheulter aus. Gegen Ende des Seminars war sie fast so rachsüchtig wie er, wenn auch aus anderen Gründen. Fabian war der erste Therapeut, der sich weigerte, sie zu bemitleiden. Er behandelte sie streng und unnachsichtig, und das war sie nicht gewohnt. Er stieß sie auf die Erkenntnis, dass ihr Leben eine Kette von Irrtümern war, die sie nun richtig stellen musste. Das Problem war, dass sich Sabine dazu nicht in der Lage fühlte. Es war leichter, Janoschs Handlangerin zu werden, als sich ernsthaft und konsequent mit ihrer Zukunft zu befassen. Sie konnte bleiben, wie sie war: überzeugt davon, dass jeder an ihrem Schicksal Schuld hatte außer sie selber.
    Janosch durchschaute das und machte es sich zu Nutze: ihre Sehnsucht danach, gelobt zu werden, ihr nie befriedigter Geltungsdrang. Sabines Hilfe zu gewinnen war eine leichte Übung auf der Klaviatur der Manipulation, die er mittlerweile beherrschte wie kaum ein anderer.

29
    »Wie habt ihr es gemacht?«, fragte David bemüht gelassen, aber seine Gedanken rasten, als sich die Wahrheit Stück für Stück in seinem Kopf zusammensetzte, und zwar unabhängig von Sabines Worten. Janosch war Samuel Plessens Dealer gewesen – klar, er hatte von den Beschlagnahmungen ja immer Stoff vom Feinsten. Die tödlichen Dosen, die er für Samuel und für die anderen Opfer brauchte, konnte er abzweigen, keiner hätte etwas gemerkt.
    Auch er nicht. Er hatte gedacht, Janosch zu kennen, aber er hatte keine Ahnung, was für ein Mensch er wirklich war.
    »Es war einfach«, sagte Sabine. Und dann erzählte sie die letzte Geschichte, bevor seine Uhr ablief. Wie Janosch Plessens Patientin Sonja Martinez besuchte und sich als Bote Plessens ausgab. Wie er Samuel Plessen in das Haus seiner Mutter bestellte, die zurzeit in einer Klinik ihren ersten Alkoholentzug probierte. Wie er dabei zusah, als sich Samuel die tödliche Spritze setzte. Wie er ihn anschließend zu jenem Club brachte, der zufälligerweise ausgerechnet in dieser Nacht geschlossen und leer war. David erinnerte sich an seine Vernehmung mit KHK Seiler, wie sie ihn gefragt hatte, ob der Fundort eine Botschaft an ihn beinhalten könnte, und wie entschieden er mit »nein« geantwortet hatte, weil er den Toten ja nicht kannte.
    Aber es war eine Botschaft an ihn gewesen. Vielleicht sogar eine Art perverser Hilferuf.
    David schloss die Augen, während Sabine weiterredete. Von Plessens Erpressung, die ihnen viel, viel Geld brachte, denn Plessen hatte so viel Angst um seinen Ruf gehabt, dass er die geforderte Summe unverzüglich auf ein Nummernkonto im Ausland überwiesen hatte. Dorthin, wo Janosch auf sie warten würde, damit sie gemeinsam ein neues Leben beginnen konnten. Das wird er nicht tun, dachte David, aber er hielt tunlichst den Mund. Er überlegte, wie spät es jetzt war. Ob man ihn bereits suchte. Tat man das nicht, würde seine Zeit recht bald zu Ende sein. Er war in einer seltsamen Stimmung, beinahe euphorisch. Die Details der einzelnen Morde kannte Sabine nicht, weil sie bei keinem unmittelbar dabei gewesen war. Sie hatte »alles organisiert«, wie sie sich ausdrückte. Die Zugfahrt nach Marburg zum Beispiel, zu Plessens Schwester. Aber selbst die toten Polizisten vor Plessens Haus waren auf Janoschs Konto gegangen. Sie war Mitwisserin, aber keine Mörderin.
    Bis jetzt.
    »Warum hast du mich niedergeschlagen?«
    »Du hast gestört.«
    »Wobei?«
    Sie lächelte, wieder ohne ihn dabei anzusehen. Und dann kam es ihm. Roswitha Plessen war das nächste, das letzte Opfer gewesen. Janosch hatte seine Rache an Plessen zu Ende gebracht. David war dazwischengeraten, unabsichtlich, beinahe zufällig.
    Und dann stellte er die letzte Frage – die, die ihn noch von seinem sicheren Tod

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