Damon Knight's Collection 04 (FiO 07)
»Woher wissen Sie, daß ich einen Passagier hatte?«
»Ich weiß es.«
»Man erwartet von uns, daß wir nicht darüber reden.«
»Ich bin offen«, sage ich zu ihr. »Mein Passagier verließ mich irgendwann in der Nacht. Ich war seit Dienstag nachmittag besessen.«
»Meiner verließ mich vor ungefähr zwei Stunden, glaube ich.« Ihre Wangen bekommen Farbe. Sie tut etwas Waghalsiges, wenn sie so spricht. »Ich war seit Montag abend besessen. Das war das fünfte Mal für mich.«
»Bei mir auch.«
Wir spielen mit unseren Drinks. Unsere Beziehung vertieft sich, beinahe ohne die Notwendigkeit von Worten. Unsere frischen Erfahrungen mit Passagieren geben uns etwas Gemeinsames, obwohl Helen nicht weiß, wie intim wir diese Erfahrungen geteilt haben.
Wir unterhalten uns. Sie ist Schaufensterdekorateurin. Sie hat ein kleines Apartment einige Blocks weiter und lebt allein. Sie fragt mich, was ich mache. »Wertpapier-Analytiker«, erzähle ich ihr. Sie lächelt. Ihre Zähne sind makellos. Wir bestellen noch einen Drink. Ich bin jetzt ganz sicher, daß sie das Mädchen ist, daß in meinem Zimmer war, als ich besessen war.
In mir wächst die Hoffnung. Es war ein glücklicher Zufall, der uns wieder zusammengeführt hat, kurz nachdem wir uns als Träumende getrennt hatten. Ein glücklicher Zufall auch, daß eine Spur des Traumes sich nicht aus meinem Gehirn hat lösen können.
Wir haben etwas geteilt, wer weiß, was, aber es muß gut gewesen sein, um einen solch lebhaften Eindruck in mir hinterlassen zu haben, und jetzt möchte ich vorsätzlich, bewußt, als mein eigener Herr zu ihr kommen und diese Verbindung erneuern, um diesmal eine wirkliche daraus zu machen. Es ist nicht richtig, denn ich nutze ein Privileg, das mir – außer aufgrund der kurzen Gegenwart unserer Passagiere in uns – nicht zusteht. Und doch brauche ich sie. Ich will sie.
Sie scheint mich auch zu brauchen, ohne zu bemerken, wer ich bin. Aber Furcht hält sie zurück.
Ich schrecke davor zurück, ihr einen Schrecken zu versetzen, und ich möchte meinen Vorteil nicht zu schnell ausnutzen. Vielleicht würde sie mich jetzt in ihr Apartment mitnehmen, vielleicht auch nicht, aber ich frage sie auch gar nicht. Wir trinken unsere Gläser aus. Wir verabreden, daß wir uns morgen wieder auf den Stufen der Bücherei treffen wollen. Meine Hand streift einen Moment lang die ihre. Dann ist sie gegangen.
Ich rauche drei Aschenbecher voll in dieser Nacht. Immer und immer wieder überdenke ich, ob es klug ist, was ich tue. Warum sie nicht einfach in Ruhe lassen? Ich habe kein Recht, ihr zu folgen. In der Stätte, die unsere Welt geworden ist, handeln wir am klügsten, wenn wir uns abgesondert halten.
Und doch – da ist dieser plötzliche Schmerz von Erinnerungsbruchstücken, wenn ich an sie denke. Das verschwommene Wissen um vergangene Gelegenheiten hinter Treppenstufen, um mädchenhaftes Lachen in den Korridoren des zweiten Stocks, um gestohlene Küsse, um Tee und Kuchen. Ich erinnere mich an das Mädchen mit der Orchidee im Haar und an das im Flitterkleid, an das Mädchen mit dem Kindergesicht und den Augen einer Frau, alle so lange, lange zurück, alle verloren, alle gegangen, und ich sage zu mir selbst, daß ich diese nicht verlieren werde; ich werde es nicht erlauben, daß sie mir genommen wird.
Der Morgen kommt, ein ruhiger Samstag. Ich kehre zu der Bücherei zurück, kaum erwartend, daß ich sie da finde, aber sie ist da, auf den Stufen, und ihr Anblick ist wie eine Gnade. Sie sieht vorsichtig aus, bedrückt; offensichtlich hat sie viel nachgedacht, wenig geschlafen. Zusammen gehen wir die Fünfte Avenue entlang. Sie ist mir ganz nahe, aber sie hängt sich nicht ein. Ihre Schritte sind rasch, kurz, nervös.
Ich möchte ihr vorschlagen, daß wir in ihr Apartment gehen und nicht in die Cocktailbar. In diesen Tagen müssen wir schnell handeln, wenn wir frei sind. Aber ich weiß, daß es falsch wäre, dies als eine Frage der Taktik anzusehen. Grobe Hast wäre fatal, die mir vielleicht einen gewöhnlichen Sieg einbrächte mit einer betäubenden Niederlage darin. Auf alle Fälle scheint ihre Laune nicht vielversprechend zu sein. Ich schaue sie an, denke an Streichmusik und neue Schneefälle, und sie schaut in den grauen Himmel hinauf.
Sie sagt: »Ich kann fühlen, wie sie mich die ganze Zeit beobachten. Wie Geier, die von oben herunterspähen, wartend, wartend. Bereit zum Zustoßen.«
»Aber es gibt einen Weg, sie hereinzulegen. Wir können kleine Fetzen vom
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