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Damon Knight's Collection 11 (FO 29)

Damon Knight's Collection 11 (FO 29)

Titel: Damon Knight's Collection 11 (FO 29) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon (Hrsg.) Knight
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von den anderen Einkerbungen steht eine, die nicht unmittelbar einleuchtet. Sie ist tief in die Wand gegraben und besteht aus zwei Worten, eines über dem anderen. Das Einkerben nahm offensichtlich viel Zeit in Anspruch. Das obere dieser Worte heißt ‚ZEIT’, das untere ‚SOLIDE’.
    Die Pritsche ist mit zerknüllten grauen Decken bedeckt, die nach dem Schweiß von Generationen Gefangener riechen. Vor dem Bett auf dem Boden sitzt der Gefangene. Vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Knien, mit gekrümmtem Rücken, betrachtet er eine Fotografie in seiner Hand.
    Das Foto eines Mädchens. Es ist schwarzweiß und nicht größer als 5x5 cm. Es ist eine Nahaufnahme. Die Unterarme und ihr Körper unterhalb der Hüfte sind nicht zu sehen. Ihr Blick ist nicht direkt auf die Kamera gerichtet, sondern scheinbar auf etwas daneben, so daß das Gesicht nur zu dreiviertel sichtbar ist. Hinter ihr ist eine Ziegelwand – eine dekorative Wand im Hollandpark an jenem Tag nach dem Hotel, nach dem Morgen in dem Cafe; bald würden sie sich am Bahnhof trennen müssen.
    Ihr dunkles Haar war zurückgekämmt, und sie zeigte einen ruhigen, doch bewegten Gesichtsausdruck. Ihr Gesicht war ziemlich rund, aber ihre hohen Backenknochen und die leichte Höhlung ihrer Wangen ließen sie ständig ein wenig entrückt aussehen, doch er hatte das, seit ihrer ersten Begegnung, ungeheuer attraktiv gefunden. Ihre Gesichtszüge waren etwas negroid – „ein Wisch mit der Teerbürste, wie meine Mutter es auszudrücken pflegte“, hatte sie in einem ihrer Briefe geschrieben – große dunkle Augen und breite Lippen, die ihr, wenn sie lächelte, einen Ausdruck ironischer Traurigkeit verliehen. Gelegentlich hatte sie auch das praktische Aussehen einer Hausfrau aus dem Norden, und dann drückte sich ihre Energie auch in Gesicht und Körper aus. Ihr Körper war sehr schlank, und ihre Haut fühlte sich wie die keiner anderen Frau auf der Welt an. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, auf einer Party, trug sie ein schwarzes Kleid, ein Kleid, das in keiner Weise die Winzigkeit ihrer Brüste verbarg, das im Gegenteil stolz ihre Winzigkeit betonte. Dies hatte ihn augenblicklich gefangen genommen. In gewisser Weise hob dies ihre Weiblichkeit hervor, obwohl sie dies zweifellos nicht beabsichtigte. Jenes erste Mal war sie für ihn das schönste Wesen auf dieser Welt.
    Er sollte sie in Leicester treffen. Er wollte sich früh am Sonntag auf den Weg machen, den Zug nach Victoria nehmen und dann zur Busstation schlendern, zu einer Zeit, wo nur wenig Leute unterwegs sind. Er konnte nicht verstehen, weshalb alle Leute so böse aussahen, als er in einer Cafeteria vor einer Tasse Kaffee saß. Die einzigen Menschen, die ihm an jenem Morgen angenehm erschienen, waren eine indische Familie, die sich in seine Nähe setzte – die Frauen in Saris, die Männer stolz in Turbanen und etwas angetrunken. Vielleicht war sein Eindruck subjektiv, und alle wirkten nur deshalb böse, weil er wußte, daß er an diesem Morgen, in wenig mehr als drei Stunden, sie wiedersehen würde. Das Wetter war nicht übermäßig kalt. Sie wollten sich lieben, und in der vergangenen Woche hatte dem vieles im Wege gestanden. Um neun Uhr fünfzehn würde er hinübergehen, vorbei an den Bussen nach Lympne/Flughafen und Frankreich, an das andere Ende des Platzes, wo der Bus nach Leicester warten würde.
    Er stieg in den Bus. Am Sonntagmorgen waren es nie mehr als acht oder neun Leute, die nach Leicester fuhren, und er ging zum hinteren Wagenende und setzte sich zur Linken. Warum immer links, wußte er nicht. Um neun Uhr fünfunddreißig setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, stieß dicke Dieselwolken aus und kroch aus seiner Höhle wie ein mechanischer Drache. Als sie Marble Arch und Swiss Cottage passierten und in Richtung der M 1 fuhren, spürte er eine wachsende Spannung. Sie lag teilweise im Sexuellen, teilweise im Wissen, daß er sie bald sehen würde, und teilweise, weil er wußte, daß er wußte. Was würde diesmal geschehen? Er konnte voraussehen, daß sie eines Morgens nicht mehr kommen würde, wohl aber er, und statt Liebe würde es Haß und Kampf geben. Sie hatte es ihm in der vergangenen Woche erzählt, und es hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht. Aber er wollte, daß sie weitermachte, denn er wußte, was es für sie bedeuten würde, wenn sie jetzt aufhörte. Es war einfach eine Reihe von Umständen in Bewegung gesetzt worden, die ihren bestimmten Lauf nehmen mußten, bis er unterbrochen

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