Damon Knights Collection 4
sein niedergeworfenes Ego würgte, als er nach einer besonders harten Untersuchung dalag und sich erbrach. Er hätte den ganzen Versuch dann und da abbrechen können, hätte er nicht die alten kalten Gewohnheiten seiner Jahre in der chemischen Industrie beibehalten. So leicht gab man das Ergebnis einer dreijährigen Suche nicht auf. Jede neue Unternehmung war wie ein Kochen, verdichtete sich und wurde immer schmerzvoller, bis endlich schlagartig der Erfolg durchbrach.
Das eigentliche Experiment begann mit einer kleinen Operation. Die große Arterie in Andrews Leistengegend mußte auf die Außenseite des Oberschenkels verlegt werden. Das sei zur technischen Erleichterung, erklärte Paul.
»Ich verstehe nicht allzuviel vom Arzthandwerk, aber kein anständiger Doktor würde eine solche Operation ausführen, du hast also keine Wahl. Bist du noch interessiert?«
»Ja.«
»Wenn wir einmal so weit gegangen sind, wird es keine Umkehr mehr geben.«
Andrew nickte schroff, nahm die Beruhigungstabletten, die Paul ihm gab und stieg ins Bett. Paul knipste das Licht aus, die Tür schloß sich, alles war ruhig.
So, hier war er jetzt also. In dieser kleinen Kammer, diesem riesigen Bett gegenüber dem weiten Fenster, das auf die Weide und Teile des Waldes hinausging. Der aufgehende Mond, dreiviertel voll, ergoß sein sanftes Licht auf die Welt. Die Vorhänge wedelten neben dem teilweise geöffneten Fenster, und es war, als ob nichts außer dieser Kammer je existiert hatte. Ich werde diese Kammer nicht auf diesen Beinen verlassen, dachte er, und unvermittelt eröffnete sich vor ihm ein Abgrund von Schwermut und Trübsinn.
Gedanken über Leben und Tod befielen ihn, Gedanken, die ein gesunder Mensch niemals denken sollte. Wie zerbrechlich Leben doch war! Ein Hauch, und es war vorbei. Da lagen dann die Knochen und das Fleisch, aber das Leben war vorbei, ganz schnell und einfach ausgeströmt. Wie verwundbar es war, wie endgültig sein Verlöschen! Wie kurz man es nur zu besitzen schien, selbst im günstigsten Fall. Wenn hier etwas schiefginge, wäre das, als ob er überhaupt nicht gelebt hätte. Bewußtsein war nicht mehr als eine Abstraktion, ein geometrischer Punkt in der Leere, dem bewußtlose Unendlichkeit voranging und folgte. Wie verrückt, daß man sich an diese Abstraktion so klammerte. Zwischen den Unendlichkeiten, was für einen Unterschied machten da ein paar Jahre? Und doch, wie wertvoll schienen sie. Das Leben war wertlos. Ein Mann würde niemals etwas derart Problematisches kaufen, und doch, er hatte es getan.
Das ist nicht die rechte Art zu denken. Man kann sterben, wenn man solchen Gedanken nachhängt. Man muß kämpfen. Auf, dann kämpfe, befahl er sich selbst. Klammere dich fest. Denk ans Weiterleben!
Oh, aber der Schmerz. Das war ein Problem. Diese zusätzlichen Tests, die Paul gemacht hatte. Schmerzhaft. Schmerz erforderte eine gewisse Geisteshaltung. Man hatte sich gegenüber sich selbst zu entfremden, mußte sich aus seinem Körper zurückziehen, sozusagen aussteigen und den Körper betrachten, um zu sehen, daß er nur eine Art Vehikel war. Das machte die Pein erträglich. Sie war aber fürchterlich, wenn man sie mit sich selbst verwechselte, was immer man selber war. Was ist das Ich? Dieser geheimnisvolle Seher, Hörer, Denker, diese immaterielle Ganzheit, die weiterzubestehen sucht, die den zuckenden Leib, von dem sie abhängt, haßt. Widerwärtige, hinfällige, sterbliche Masse. Plötzlich fühlte er sich, als ob er auf Widerruf in ein kleines Boot gesetzt worden wäre, das auf einem wilden Meer von organischer Flüssigkeit hin- und hergeworfen wurde, die ihn ertränken würde, wenn er es zuließ. Aber ich will nicht ertränkt werden, sagte er zu sich selbst. Ich werde mich an dieses Boot klammern, und morgen bei Tageslicht wird es besser gehen.
Als er aufwachte, wirbelten Blätter am Fenster vorbei. Es war ein windiger Oktobertag, und er fühlte sich hungrig. Er drückte den Klingelknopf, und Paul kam herein; er trug ein kleines Tablett, auf dem sterile Instrumente lagen.
»Schön«, sagte Andrew herzhaft. »Ich fühle mich zu allem bereit. Gib mir etwas zum Frühstück und laß es uns dann angehen.«
»Die Operation ist vorbei«, sagte Paul.
Andrew starrte ihn an, und in dieser Stille setzte Paul das Tablett auf den Tisch neben dem Bett ab. Scheren, weißes Leinen, Alkohol, eine kleine Phiole, deren Korken von einer einfachen Stopfnadel durchstoßen war. Andrew wandte sich ab und betrachtete seine
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