Damon Knights Collection 4
entpuppte. Dafür wurde er zu lebenslänglicher Haft verurteilt.«
»Und Mrs. Surratt, in deren Haus sich die Verschwörer trafen.«
»Ja. Sogar als der Henker ihr die schwarze Kapuze überzog, wußte sie nicht, worum es ging.«
Sie schauten sich beide um. Edmonds Sekretärin stand im Türrahmen. »Entschuldigung, Herr Richter. Die Fünfminutenglocke.«
Edmonds nickte.
Helen Nord schaute noch einmal verwirrt auf die Fotografie, bevor sie sie in ihre Brieftasche steckte. Edmonds folgte ihr hinaus auf den Korridor.
Verfeinerte und weiterreichende Mittel, in das Privatleben einzelner einzudringen, sind der Regierung zugänglich gemacht worden. Der Fortschritt der Wissenschaften, die Regierungen mit Spionagemitteln auszustatten, endet wohl nicht mit der Entwicklung von Abhörgeräten, Eines Tages mögen Verfahren entwickelt werden, durch die die Regierung in die Lage versetzt wird, Papiere im Gericht zu reproduzieren, ohne daß man sie vorher aus Geheimfächern hätte entwenden müssen, und durch die es ihr ermöglicht wird, einem Richterkollegium die vertraulichsten Vorkommnisse des Privatlebens zu enthüllen. Fortschritte in den psychischen und verwandten Wissenschaften werden vielleicht Mittel zur Erforschung unausgesprochener Überzeugungen, Gedanken und Gefühle hervorbringen.
Richter Brandeis; seine im Widerspruch zum Urteil stehende Meinung im Fall Olmstead gegen USA 1928
Bei seiner ersten Freitagskonferenz hatte Edmonds den Brauch ziemlich albern gefunden: Jeder der neun Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, des angesehensten Gremiums der Welt, mußte den anderen acht die Hand schütteln, bevor sie an dem langen Tisch Platz nehmen konnten. Aber nun, nach mehreren Jahren am Hohen Gericht, verstand er, warum der Oberste Richter Fuller vor beinahe hundert Jahren den Brauch eingeführt hatte. Es besänftigte althergebrachte Spannungen und Differenzen, die sonst nie erlaubt hätten, daß sich neun völlig auseinandergehende Ansichten zu einem funktionierenden Gericht zusammenfinden. Er dachte mit verzogenem Mund an Analogien aus dem Ring: »Hände schütteln und dann auf in den Kampf.« Sechsunddreißigmal Händeschütteln. Jetzt, elf Uhr morgens, war es möglich. Wenn sie die Sitzung um sechs Uhr vertagten, dann vielleicht nicht mehr.
Und nun nahmen sie ihre Plätze rund um den langen, schwarzen Tisch ein, der Oberste Richter Shelley Pendleton am südlichen Ende, der Senior der Richter, Oliver Godwin, am nördlichen und die anderen Richter in der Rangfolge ihres Alters an den Seiten. Der große John Marshall gab ihnen seinen Segen aus seinem Porträt über dem verzierten Marmorkamin herab.
Das Gesicht des Obersten Richters Shelley Pendleton war ein Widerspruch in sich – fast häßlich in seiner zerfurchten, maskenhaften Gefühllosigkeit und konnte doch einer seltsam schönen Menschenliebe Ausdruck geben, warm, humorvoll, sogar demütig. Es wurde gemunkelt, daß er sich nach seiner ersten Zustimmung zu einer Todesstrafe in sein Büro zurückgezogen und geweint habe und daß die Witwe noch heute eine Pension von dem Sachwalter seines unermeßlichen persönlichen Vermögens erhielt. Vor seiner Ernennung war er eine bekannte Persönlichkeit der Wall Street gewesen. Edmunds bewunderte den Mann. Er fand es unglaublich, daß solch klare Ansichten einem derart komplizierten Gehirn entspringen konnten. Er zerbrach sich so lange den Kopf, bis er schließlich zu der Ansicht kam, daß der Oberste Richter alle möglichen Gesichtspunkte bedachte, die hauptsächlichen Aspekte aussonderte, sie in ein ausbalanciertes Gleichgewicht brachte und dann die Antwort akzeptierte. Die Pendletonsche Technik schloß alle Möglichkeiten gesetzlichen Vorgehens ein … stare decisio … Logik … Gewohnheitsrecht … soziale Erfordernisse … und ein feines prophetisches Gespür für die Wirkung einer getroffenen Entscheidung auf zukünftige, ähnlich gelagerte Fälle. Marshall war ein Verfassungsrechtler, Holmes ein Historiker, Brandeis ein Soziologe, Cardozo ein Liberaler und Warren ein Humanist gewesen – aber Pendleton war nichts davon; denn er vereinigte alle in sich.
Der Oberste Richter sprach schnell und prägnant. »Der erste Punkt auf der Tagesordnung ist der Fall Frank Tyson, Antragsteller gegen die Stadt New York. Antrag auf Aktenanforderung an das Appellationsgericht in New York. Jeder von Ihnen weiß, worum es geht, deshalb genügt es, wenn ich die Fakten nur kurz wiederhole. Tyson ist
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