Damon Knights Collection 4
und Fünfte Zusatzerklärung
Benjamin Edmonds drehte den Rückspulhebel an der Selbstentwicklerkamera mit langsamen, rhythmischen Bewegungen seines Handgelenks. Als der Mechanismus einrastete, legte er die Kamera auf die Seite, direkt neben die Bronzeplastik auf dem Beistelltisch. Er knipste das Deckenlicht aus und schaltete die schwachrote Dunkelkammerlampe über den Entwicklerschalen ein. Er saß einen Moment lang still, studierte die Form vor sich und wartete darauf, daß sich seine Augen an die ihn umgebende Dunkelheit gewöhnten.
Der Abguß war ein schlichtes, fast unansehnliches Ding: eine Hand, die einen Besenstiel umklammert hielt. Sogar nach eineinviertel Jahrhundert strahlte sie noch die ungeheure Anstrengung und das übermenschliche Mitgefühl ihres großen Vorbilds aus, und sie würde sicherlich dazu beitragen, die entfernten schlafenden Schatten zu wecken. Edmonds legte sanft seine eigene große Hand darüber; das Metall schien seltsam warm.
Es war Zeit, anzufangen.
Er schaltete das rote Licht aus und ließ die Schwärze über sich fließen.
Die Bilder kamen fast sofort. Zuerst flackerten sie noch schemenhaft, scheinbar gefangen im Bereich seiner Augenlider. Dann gewannen sie Schärfe und wurden räumlich und traten hervor und verschwanden. Sie waren wirklich, und er war dabei, war in jenem überfüllten Theater und schaute empor zu der flaggengeschmückten Präsidentenloge, die von drei kleineren Männern und dem großen mit Bart im Schaukelstuhl besetzt war. Und jetzt, von hinten, ein fünfter. Der Arm, der sich ohne zu zittern hob. Das tödliche Schimmern von Metall. Der Schuß. Der Mann, der aus der Loge auf die darunterliegende Bühne springt. Und das Inferno. Flackernde Szenen. Sie tragen den Mann im flimmernden österlichen Mondlicht über die Straße. Und weiter ließ Edmonds die seltsamen Stunden in jener lang vergangenen Zeit vorüberziehen, bis der richtige Augenblick kam und das richtige Bild erschien.
Das war der kritische Moment. Diese letzte Szene, dieses eine Bild aus jener Zeit mußte in der Emulsion in der Kamera festgehalten werden. Wie immer war der geistige Prozeß der Übertragung scharf, brennend. Und dann war es getan.
Er stand auf und schaltete das Deckenlicht wieder ein. Er atmete schwer. Ihm war kalt, aber von seinem Gesicht tropfte der Schweiß. Er schubste den Bronzeguß zur Seite, trocknete sein Gesicht mit einigen Papierhandtüchern, zog dann den Film aus der Kamera. Er studierte den Abzug kurz, aber mit Befriedigung. Vorsichtig rieb er das Negativ mit einem Präparierstift ein und legte es zwischen die Trägerplatten des Vergrößerungsgeräts.
Aufgrund welcher aller transzendentalen Fähigkeiten glaubte er, daß Helen dieses einfache Ding mit den Händen wünschen würde? Warum nicht den schmächtigen jungen Mann, der über dem Grab von Ann Rutledge brütet? Oder der ergreifende Abschied am Zug, gerade bevor er den Bahnhof von Springfield verläßt? Nein, keins von diesen. Für Helen Nord mußten es die Hände sein.
Für einen Junggesellen in den Fünfzigern, dachte Edmonds, bin ich ein schöner Narr. Und wenn Helen Nord etwa wüßte, was ich eben getan habe, würde sie sicherlich zustimmen. Ich bin schlimmer als Tom Sawyer, der sich auf dem Lattenzaun produzierte, um seiner kleinen Freundin zu imponieren.
Er lächelte trocken, als er noch einmal das Deckenlicht ausschaltete und nach dem Bromsilberpapier in der Größe 8 x 11 griff.
Die Sekretärin im Vorzimmer schaute von ihrer Schreibmaschine auf und lächelte. »Guten Morgen, Madame Nord. Der Richter erwartet Sie. Sie können gleich hineingehen.«
»Vielen Dank.« Mrs. Nord erwiderte das Lächeln und ging in das Arbeitszimmer.
Benjamin Edmonds stand gemessen auf und geleitete sie zu einem Stuhl nahe dem großen Eichentisch.
Helen Strachey Nord aus Virginia, einst nur bekannt als die Witwe von John Nord und Mutter von drei Söhnen (alle drei nun in den Karrieresattel gehoben), war eine gutaussehende Frau in den späten Vierzigern. Der tragische Tod von John Nord bei der ersten Marslandung hatte sie anfangs ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, aber sie hielt sich dort durch ihre eigenen bemerkenswerten Fähigkeiten auch weiterhin. Nachdem sie mehrere Jahre für die NASA gearbeitet hatte, wurde sie zum Mitglied der Amerikanisch-Sowjetischen Schlichtungskommission ernannt, die die Streitigkeiten der späten siebziger Jahre um den Mond beilegen sollte. Krieg war verhütet worden. Sie war
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