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Damon Knights Collection 4

Damon Knights Collection 4

Titel: Damon Knights Collection 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon Knight
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zieht eine lange Strähne glänzenden Haares in ihren Mund, kaut darauf herum, scheint zu erwachen. Sie sieht benommen aus.
    Ich wende meine Augen ab. Man beobachtet nicht, wie ein Mitleidender erwacht. Es gibt die Moral der Besessenen, wir haben viele neue Stammessitten in diesen finsteren Tagen.
    Ich haste weiter.
    Wohin gehe ich so hastig? Schon bin ich mehr als eine Meile gelaufen. Ich scheine mich einem Ziel zuzubewegen, als ob der Passagier noch in meinem Gehirn kauert und mich weitertreibt. Aber ich weiß, daß das nicht so ist. Im Moment wenigstens bin ich frei.
    Kann ich dessen sicher sein?
    ›Cogito ergo sum‹ gilt nicht länger. Wir denken weiter, auch wenn wir besessen sind, und wir leben in ruhiger Verzweiflung, unfähig unseren Lauf anzuhalten, gleich wie grausig, gleich wie selbstzerstörerisch er ist. Ich bin sicher, daß ich zwischen dem Zustand, in dem ich einen Passagier ertrage, und dem, in dem ich frei bin, unterscheiden kann. Aber vielleicht nicht. Vielleicht trage ich einen besonders teuflischen Passagier mit mir herum, der nicht daran denkt, mich zu verlassen, sondern sich einfach ins Kleinhirn zurückgezogen hat und mir die Illusion der Freiheit läßt, während er mich die ganze Zeit verstohlen vorantreibt, auf ein Ziel seines eigenen Ermessens zu. Hatten wir jemals mehr als das, die Illusion der Freiheit?
    Aber es ist störend: der Gedanke, daß ich vielleicht besessen bin, ohne es zu bemerken. Mir bricht der Schweiß in dicken Tropfen aus, nicht allein von der Anstrengung des Laufens. Halt! Halt auf der Stelle! Warum mußt du gehen? Du bist in der Zweiundvierzigsten Straße. Da ist die Bücherei. Nichts zwingt dich weiter. Halte eine Weile an, sage ich zu mir selbst. Ruh dich auf den Stufen der Bücherei aus.
    Ich sitze auf dem kalten Stein und sage zu mir selber, daß ich die Entscheidung von mir aus getroffen habe.
    Tatsächlich? Es ist das alte Problem, freier Wille gegen Determinismus, in die widerlichste seiner Ausdrucksformen übertragen. Determinismus ist nicht länger die Abstraktion eines Philosophen, es ist: leidenschaftslose, unbekannte Ranken, die zwischen die Schädelnähte kriechen. Die Passagiere kamen vor drei Jahren. Seitdem war ich fünfmal besessen. Unsere Welt ist nun ganz anders. Aber wir haben uns sogar diesem angepaßt. Wir haben uns angeglichen. Wir haben unsere Sitten. Das Leben geht weiter. Unsere Staatsmänner regieren, unsere Gesetzgeber versammeln sich, unsere Aktienbörse tätigt Geschäfte wie gewöhnlich, und wir haben Methoden, um den gelegentlichen Ausfall auszugleichen. Es ist der einzige Weg. Was sonst können wir tun? In Ergebenheit verkümmern? Wir haben einen Feind, den wir nicht bekämpfen können, im besten Fall können wir durch Aushalten widerstehen. Also halten wir aus.
    Die Steinstufen sind kalt unter meinem Körper. Im Dezember sitzen wenige Leute hier.
    Ich sage mir, daß ich diesen Spaziergang aus eigenem freiem Willen unternommen habe, daß ich aus eigenem freiem Willen stehengeblieben bin, daß im Moment kein Passagier mein Gehirn besetzt hält. Vielleicht. Vielleicht. Ich kann mich nicht glauben lassen, daß ich frei bin.
    Kann es sein, frage ich mich, daß der Passagier eine Art nachwirkenden Befehl in mir hinterlassen hat? Geh zu dieser Stelle, halte an dieser Stelle? Auch das ist möglich.
    Ich schaue mich nach den anderen auf den Stufen der Bücherei um.
    Da sitzt ein alter Mann mit leeren Augen auf einer Zeitung; ein Junge, etwa dreizehn, mit aufgeblähten Nasenflügeln, eine mollige Frau. Sind sie alle besessen? Passagiere scheinen heute um mich herumzuschwärmen. Je mehr ich die Besessenen studiere, um so mehr bin ich überzeugt, daß ich im Moment frei bin. Das letzte Mal hatte ich drei Monate Freiheit zwischen den beiden Anfällen. Einige Leute, sagen sie, sind kaum jemals frei. Nach ihren Körpern besteht eine große Nachfrage, und sie kennen nur Splitter kurzer Freiheitsausbrüche, einen Tag hier, eine Woche dort, eine Stunde. Wir waren nie imstande festzustellen, wie viele Passagiere unsere Welt verseuchen. Millionen vielleicht. Oder vielleicht fünf? Wer kann das sagen?
    Ein Schneeflockenschwarm wirbelt aus dem grauen Himmel herunter. Die Zentrale hat gesagt, daß die Neigung zu Niederschlägen gering wäre. Haben sie die Zentrale heute morgen auch in der Gewalt?
    Ich sehe das Mädchen.
    Sie sitzt mir quer gegenüber, fünf Stufen höher und dreißig Meter weiter, ihren schwarzen Rock bis zu den Knien hochgezogen, um

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