0580 - Ginas Mörderschloß
Es kam noch etwas hinzu. Die verdammte Finsternis. Im Schloß mußten Fenster sein, er hatte sie von außen gesehen, doch er fand sie nicht. Wahrscheinlich waren lange Vorhänge vor die Scheiben gezogen worden, als hätte derjenige, der das Schloß bewohnte, etwas zu verbergen.
Er lauschte.
Zu hören war nichts. Nur sein eigener Herzschlag fiel ihm auf. Der war ungewöhnlich laut, irgendwie hektisch, anders. Möglicherweise bildete er sich das auch ein, denn seinen Besuch im Schloß konnte man nicht eben als normal bezeichnen.
Wer ging schon zu einer Hexe?
Kein normaler Mensch, nur diejenigen, die sich mit Problemen herumschlugen, wie eben Bob Carlos, der unter starken, negativen Gefühlen litt. Der Psychiater hatte ihm nicht helfen können.
Er hatte es mit Therapien versucht, er war in Kurse über Selbstfindung gegangen, hatte viel bezahlt und letztendlich nichts erreicht.
In der Gemeinschaft war alles wunderbar gewesen, aber wehe, das verlängerte Kursus-Weekend war vorbei. Dann wurde er entlassen in den für ihn leeren Alltag, wo Computer das Leben diktierten und er dabei sogar noch mitmischte.
Dann hatte er die Anzeige gelesen.
Die Hexe Gina hilft Ihnen bei Problemen. Sie gibt Ratschläge, was Ihre persönliche Zukunft angeht. Vertrauen Sie ihr. Ein Besuch lohnt sich immer.
Den Text kannte er auswendig. Immer und immer wieder hatte Bob Carlos ihn gelesen und sich die angegebene Telefonnummer eingeprägt. Doch er hatte sich nie getraut, anzurufen.
Bis an diesem Mittwoch, als es wieder besonders schlimm mit seinen Zuständen geworden war. Da stand er dicht davor, aus dem Fenster zu springen. Dann hatte er sich doch überwunden, die bewußte Telefonnummer anzurufen.
Die Hexe Gina war nicht an den Apparat gekommen. Sie hatte ihn mit einem Anrufbeantworter gekoppelt, bat um persönliche Angaben, vor allen Dingen um die Telefonnummer des Klienten, um zurückrufen zu können.
Bob Carlos hatte den Rat genau befolgt. Über eine Woche lang hatte er gewartet, von Gefühlen hin- und hergerissen, bis der erlösende Anruf ihn erreichte.
Es war tatsächlich Gina gewesen.
Allein ihre Stimme hatte verheißungsvoll und irgendwie auch wissend geklungen. Kein lautes Organ, mehr ein Flüstern, dabei jedes Wort stark betonend.
Bob Carlos hatte von einem geheimnisvollen Schloß erfahren, das er an einem bestimmten Tag und um eine bestimmte Uhrzeit besuchen sollte. Jetzt war dieser Tag gekommen, auch die Uhrzeit stimmte, aber von Gina, der heilenden Hexe hatte er nicht einen Kleiderfetzen gesehen und auch ihre Stimme nicht mehr gehört.
Ihm war gar nichts geblieben, nur diese fürchterliche Dunkelheit zwischen den Wänden, auch die Kühle und eben dieser Geruch von altem Blut. Ja, so mußte es riechen. Etwas muffig, vielleicht auch süßlich, für ihn jedenfalls widerlich.
Er wollte nicht mehr länger hinter der Tür bleiben. Das hatte keinen Sinn. Da er sich schon auf den Weg gemacht und die erste Etappe des Ziels erreicht hatte, mußte er auch die anderen in Angriff nehmen. Bob Carlos war davon überzeugt, daß Gina auf ihn wartete. Er fragte sich, wo sie, um alles in der Welt, hockte.
Das Schloß war groß, zudem verschachtelt, bestand aus drei Gebäuden und zwei mächtigen Türen, deren Spitzen sich wie starre Zipfelmützen in die Höhe schoben.
Seine rechte Hand verschwand in der Jackentasche, wo die Schachtel mit den Zündhölzern steckte. Selbst bei dieser normalen Geste fing er an zu zittern. Auch als er aufschloß, bebten seine Finger. Sehr vorsichtig nahm er ein Zündholz heraus, rieb es an, sah wohl den kleinen Blitz und hörte auch das Knacken, mit dem der dünne Gegenstand in der Mitte durchbrach.
Er startete zu einem zweiten Versuch. Diesmal klappte es. Der Kopf fing Feuer, die kleine Flamme bildete ein rotgelbes, blasses Oval und warf ihr Licht gegen das Gesicht des Mannes. Bob Carlos war ein dunkelhaariger Mann, ebenso dunkel wuchs der dichte Oberlippenbart unter der etwas gekrümmten Nase.
Die Flamme flackerte, demnach wurde sie von einem weichen Luftzug getroffen. Sie bog sich nach rechts, der Wind kam also von links. Carlos schirmte die Flamme mit der Hand ab. Bevor sie verlosch, wollte er sich umschauen.
Das klappte nicht mehr.
Die glimmenden Reste des Streichholzes fielen auf den Steinboden, wo er sie noch zertrat. Bob fiel ein, daß er im Wagen eine Taschenlampe liegen hatte. Gerade jetzt würde sie ihm die besten Dienste erweisen. Er ging zur Tür, nur konnte er sie nicht mehr öffnen, denn
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