Damon Knights Collection 4
immer auf.«
»Nein«, sage ich zu ihr. »Dazu kann es nicht genug von ihnen geben. Manchmal schauen sie in die andere Richtung. Und während sie das tun, können sich zwei Menschen zusammentun und versuchen, Wärme zu teilen.«
»Aber was soll das?«
»Sie sind zu pessimistisch, Helen. Es gibt Zeiten, da beobachten sie uns monatelang nicht. Wir haben eine Chance. Wir haben eine Chance.«
Aber ich kann ihren Panzer der Furcht nicht durchdringen. Sie ist gelähmt durch die Nähe der Passagiere, unwillig etwas zu beginnen, aus Angst, es könnte uns von unseren Peinigern entrissen werden. Wir erreichen das Gebäude, wo sie wohnt, und ich hoffe, sie wird sich erweichen lassen und mich einladen. Einen Augenblick schwankt sie, aber nur für einen Augenblick; sie nimmt meine Hand in ihre beiden Hände und lächelt, und das Lächeln verblaßt, und sie ist gegangen und läßt mir nur die Worte zurück: »Wir treffen uns morgen wieder an der Bücherei, mittags.«
Ich gehe den langen, deprimierenden Heimweg alleine.
Etwas von ihrem Pessimismus sickert in dieser Nacht in mich ein. Es scheint nutzlos für uns zu versuchen, etwas zu retten. Nicht schön von mir, sie herauszusuchen, schändlich, eine schwankende Liebe anzubieten, wenn ich nicht frei bin. In dieser Welt, sage ich zu mir selbst, sollten wir uns schön voneinander absondern, damit wir nicht irgend jemand verletzen, wenn wir ergriffen und besessen werden.
Ich gehe an diesem Morgen nicht zu unserem Treffen.
Das ist die beste Art und Weise, sage ich mir beharrlich. Nicht die geringste Kleinigkeit hält mich bei ihr. Ich stelle sie mir an der Bücherei vor, wie sie überlegt, warum ich zu spät komme, wie sie angespannt schaut, ungeduldig, dann ärgerlich. Sie wird wütend auf mich sein, weil ich unsere Verabredung nicht eingehalten habe, aber ihre Wut wird verrauchen, und sie wird mich schnell genug vergessen.
Montag kommt. Ich gehe wieder zur Arbeit.
Natürlich redet keiner über meine Abwesenheit. Es ist, als ob ich nie weggewesen wäre. An der Börse ist heute morgen einiges los. Die Arbeit beansprucht mich ganz; es ist später Vormittag, bevor ich schließlich an Helen denke. Aber nachdem ich einmal an sie gedacht habe, kann ich an nichts anderes mehr denken. Meine Feigheit, sie zu versetzen. Wie kindisch meine finsteren Gedanken Samstag nacht waren. Warum das Schicksal so widerstandslos hinnehmen? Warum nachgeben? Jetzt will ich kämpfen, ein Nest der Sicherheit erkämpfen, den Umständen zum Trotz. Ich bin zutiefst überzeugt, daß es gelingen kann. Die Passagiere werden sich letzten Endes vielleicht nie mehr um uns kümmern. Und dieses flackernde Lächeln von ihr vor ihrem Haus am Samstag, dieses augenblickkurze Aufleuchten – es hätte mir sagen müssen, daß sie hinter ihrer Wand von Furcht die gleichen Hoffnungen fühlte. Sie wartete darauf, daß ich den Anfang machte. Und statt dessen blieb ich zu Hause.
In der Mittagszeit gehe ich zur Bücherei, überzeugt, daß es nutzlos ist.
Aber sie ist da. Sie schreitet die Stufen ab, der Wind peitscht um ihre schlanke Gestalt. Ich gehe auf sie zu.
Sie schweigt einen Moment. »Hallo«, sagt sie endlich.
»Es tut mir leid wegen gestern.«
»Ich habe lange auf Sie gewartet.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich meinte, daß es keinen Sinn hätte zu kommen. Aber dann änderte ich meine Meinung wieder.«
Sie versucht, ärgerlich auszusehen. Aber ich weiß, daß sie sich freut, mich wiederzusehen – warum wäre sie sonst hierhergekommen? Sie kann ihre innere Freude nicht verbergen. Auch ich kann’s nicht. Ich zeige über die Straße zur Cocktailbar.
»Einen Daiquiri?« sage ich. »Als Friedensangebot?«
»Gerne.«
Heute ist die Bar vollbesetzt, aber irgendwie finden wir eine Nische. In ihren Augen ist ein Leuchten, das ich vorher noch nicht gesehen habe. Ich werde gewahr, daß der Widerstand in ihr zerbröckelt.
»Sie haben weniger Angst vor mir, Helen«, sage ich.
»Ich habe nie Angst vor Ihnen gehabt. Ich habe Angst davor, was geschehen kann, wenn wir das Risiko auf uns nehmen.«
»Sie dürfen keine haben. Sie dürfen keine haben.«
»Ich versuche, keine Angst zu haben. Aber manchmal scheint es so hoffnungslos. Seitdem sie hierherkamen –«
»Wir können immer noch versuchen, unser eigenes Leben zu leben.«
»Vielleicht.«
»Wir müssen es versuchen. Lassen Sie uns ein Abkommen schließen, Helen. Keine Schwermut mehr. Keine Sorgen mehr um schreckliche Dinge, die nur vielleicht geschehen
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