Dann fressen sie die Raben
ändern kann, habe ich beschlossen, meinem Schulbesuch eine gute Seite abzugewinnen. An der Schopenhauerschule kann ich wahrscheinlich am ehesten herausfinden, was genau mit Lina passiert ist. Schließlich verbringt sie ja die meiste Zeit des Tages mit ihren Klassenkameraden. Und ich erinnere mich, wie Mam mir erzählt hat, dass Lina im Krankenhaus von ihnen besucht wurde. Vielleicht hat sie denen noch etwas gesagt, irgendetwas, das mich auf eine Spur bringt, wovor sie so große Angst gehabt hat.
Nicht zu vergessen der Typ, in den Lina verliebt war und der angeblich mit ihr Schluss gemacht hat. Den muss ich als Erstes kennenlernen, wenn er denn überhaupt auf diese Schule geht.
Und wenn es ihn überhaupt gibt. Ich kann mir nach wie vor schwer vorstellen, dass Lina Liebeskummer hatte. Bisher war es immer so, dass sich die Jungs ihretwegen die Augen ausgeheult haben, nicht umgekehrt.
Die Schule ist viel schöner als der Betonkasten, in den ich gehe. Es ist ein Bau aus roten Ziegeln mit vielen Erkern und Vorbauten, von Rasenflächen und Blumenbeeten umgeben. Weil die Schopenhauerschule eine teure Privatschule ist, hatte ich erwartet, dass die Mädchen Gucci-Brillen tragen und sich wie Paris Hilton gebärden, aber komischerweise sehen alle ganz normal aus. Die meisten tragen Jeans und T-Shirts, nur ihre Ledertaschen und Täschchen sehen verdächtig nach It-Bags aus. Ich komme in die 11A im zweiten Stock links, werde von der Klassenlehrerin Frau Paul kurz vorgestellt und soll mich dann auf Linas Platz setzen. Das fühlt sich komisch an und mir ist völlig klar, was alle denken.
Diese fade Bohnenstange soll Linas Schwester sein?
Die anderen Schüler glotzen mich unauffällig an, und als ich mich setze, ist das Getuschel groß.
Nur meine Nachbarin lächelt mich freundlich an. »Das mit deiner Schwester tut mir total leid«, wispert sie mir zu, »auch wenn sie eine ziemliche Bitch ist. Ich heiße übrigens Gretchen.«
»Gretchen? Echt?« Ich bin doppelt verblüfft. Darüber, dass sie so unverblümt ihre Meinung zu Lina äußert und über ihren Namen. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der Gretchen heißt und nicht schon mehr als drei Jahrhunderte tot ist.
Sie lächelt immer noch. »Man spricht es Grättschän aus. Meine Mutter stammt aus Kanada, mein Vater ist Italiener. Ich heiße Gretchen Rubino.«
Jetzt muss ich auch lachen. Ruby und Gretchen Rubino, ob das ein gutes Vorzeichen ist? Ich schaue sie von der Seite an. Sie sieht gar nicht aus wie ein Gretchen, sie ist nicht blond, sondern dunkelhaarig und hat sehr hohe Wangenknochen. Irgendwie indianisch, eine Pocahontas mit blauen Augen. Dann fällt mir wieder ein, was sie gerade über Lina gesagt hat. »Was meinst du damit, dass Lina eine Bitch ist?«
»Das hab ich nicht so gemeint, tut mir leid.« Sie redet ganz schnell weiter, vermutlich um die peinliche Situation zu überspielen. »Vergiss es am besten gleich wieder. Ich drücke die Daumen, dass sie schnell wieder aus diesem fiesen Krankenhaus rauskommt. Das Elisabethenstift ist ein ziemlich übler Schuppen, ich habe da mal ein Praktikum gemacht, tief unten im Keller. Betten desinfizieren.« Sie seufzt. »Was tut man nicht alles, wenn man Ärztin werden will, aber eine Null in Bio ist.«
Frau Paul wirft uns einen bitterbösen Blick zu und geht ihre Anwesenheitsliste weiter durch. Es sind drei Victors, zwei Lukasse und drei Alexe dabei, bei den Mädchen gibt es drei Maries und zwei Luises. Zum Glück haben die meisten zur besseren Unterscheidung Doppelnamen, aber ich kann mir trotzdem nicht alle merken, was vermutlich auch nichts ausmacht, denn ich habe ja nicht vor, lange hierzubleiben. Erst gestern hat ein neuer Spezialist Lina untersucht und laut Pa meinte er, dass Linas Zustand sich von einem Tag auf den anderen bessern kann.
Nachdem Frau Paul mit der Anwesenheitskontrolle fertig ist, wird Gretchen als Klassensprecherin dazu verdonnert, mir später die Abläufe zu erklären und mich auf dem Schulgelände herumzuführen. Sie nickt Frau Paul ergeben zu, verdreht dann aber leicht ihre Augen.
Als sie merkt, dass ich das gesehen habe, wendet sie sich zu mir. »Entschuldige. Nimm es nicht persönlich, ich wollte mich in der großen Pause bloß auf eine Zigarette mit einem Kerl treffen und das kann ich jetzt abhaken.« Sie seufzt und lächelt mich gleichzeitig wieder an.
Ich frage mich wirklich, warum Gretchen so etwas Gemeines über Lina gesagt hat. Eigentlich wirkt sie ganz okay. Ich meine, ich kann ja
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