Dann fressen sie die Raben
suche noch weiter, denn mit dem iPhone kann man auch Mails empfangen und verschicken, aber da finde ich nur uralte Mails an und von Oliver und ahne, dass es sein Handy ist, das, wie Alex erwähnt hat, verschwunden war. Ich schaue trotzdem noch einmal in den SMS-Eingang, nur pro forma, und sofort kriege ich eine Gänsehaut am ganzen Körper und ich bin froh, dass meine Familie nebenan ist.
»Wir müssen reden. Ich weiß, du bist www.wahrste-liebe.de.«
»Na und?«
»Bitte, lass uns treffen, es ist wichtig.«
Und dann verabredet sich Lina mit ihrer Mörderin zu einem Treffen bei sich zu Hause, an dem Tag ihres sogenannten Selbstmords, als Oliver und Mam bei der Arbeit sind.
Sie hat vorher noch den Koffer zu Frau Vogel gebracht, nur um sicherzugehen.
Gretchen. Die man aber bitte Grättschän aussprechen muss und die über Lina gesagt hat, sie wäre eine Bitch. Ich weiß gar kein Wort, in keiner Sprache dieser Welt, das auf Gretchen passen könnte. Die mich mit ihrem Pocahontasgesicht und den schönen Augen völlig in die Irre geführt hat. Wenn ich an das denke, was sie in ihrem Blog geschrieben hat, teilweise die reinsten Hirngespinste, wie sie sich reingesteigert hat in eine Liebe, die es wohl nur in ihrem Kopf gegeben hat und die Dennis wiederum grausam für seine Zwecke ausgenutzt hat. Er hat ihr sicher erzählt, was für eine Bedrohung Lina für ihn darstellt, und dann hat sie sich einen kranken Schlachtplan ausgedacht.
Ich sehe Gretchen genau vor mir, wie sie mit ihren blauen Augen Lina anlügt und ihr schwört, Dennis wäre für sie Vergangenheit. Ich sehe sie vor mir, wie sie vor Lina behauptet, von den Sklaven nichts zu wissen, nein, natürlich nicht, und wie entsetzt sie darüber ist, was bei ihrem Vater alles vorgeht. Und wie froh sie ist, dass Lina ihr die Augen geöffnet hat, und wie gut sie es findet, wenn Lina zur Polizei geht, und dass sie ihre Freundschaft neu besiegeln will.
Und während all der Zeit hören sie die Diva- Filmmusik, dabei füllt sie Lina nach und nach mit Wodka und Schlaftabletten ab, und als Lina merkt, was los ist, und sich ins Bad flüchtet, um sich den Finger in den Hals zu stecken, nutzt Gretchen die Zeit und löscht alle verdächtigen Dateien im Computer, die sie auf die Schnelle finden kann. Und als Lina nicht wiederkommt, hält sie ihren Plan für geglückt, räumt ihre Spuren weg, spült ihr Glas ab und macht sich aus dem Staub, bevor sie jemand in der Wohnung erwischt.
Ich hätte viel eher auf die Lösung kommen können, wenn ich die eine Frage viel früher gestellt hätte.
Wer aus der Schule hat Lina an dem Tag im Krankenhaus besucht, als sie ins Koma fiel? Aber wie hätte ich damals darauf kommen sollen, dass all diese netten Menschen in ihrer Schule so widerwärtig sind?
Wie mir jetzt klar ist, ist es Gretchen gewesen. Sie hat Lina besucht, und was sie dort getan hat, weiß niemand so recht. Oliver vermutet aber, dass sie ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt hat, und auch er macht sich Vorwürfe, weil er nicht auf die Idee gekommen ist, dass Linas Koma so ausgelöst worden sein könnte.
Dann ist Gretchen verschwunden, hat so getan, als wäre nichts passiert, und hat sich weiter um ihre wahrste Liebe Dennis gekümmert, den sie um jeden Preis schützen wollte, für den sie eiskalt alles getan hat.
Ich starre auf das Handy und mir ist ganz elend bei dem Gedanken, dass ich nichts davon beweisen kann, nicht das Mindeste, selbst mit dem iPhone hier. Aber ich hoffe, meine Aussage und die von John werden Gretchen wenigstens hinter Gitter und vor allem in eine Therapie bringen.
Schließlich sind wir zu zweit – und Pa hat gesagt, dass John sie zweifelsfrei als seine Angreiferin identifizieren konnte. Ich schließe das Handy wieder in das Köfferchen, will es nicht mehr sehen und lege das Band mit dem Schlüssel auf den Tisch, unschlüssig, was ich damit tun soll.
Es klingelt.
Mam kommt herein und sagt, dass unser Gast da ist. Ich habe überhaupt keinen Hunger, aber ich nehme mich zusammen und stehe auf. Mam verlässt das Zimmer, stößt an der Tür mit John zusammen, der ihr einen kleinen Fliederstrauß überreicht. Sie schließt die Tür hinter ihm und John wendet sich zu mir.
Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit ich verwundet worden bin, aber die Bilder von ihm sind Stück für Stück zurückgekehrt, jeden Tag eins mehr.
Wie er in Frau Vogels Wohnung vor mir steht, nur ein trauriger Schatten seiner selbst. Wie er auf dem Feld in Riem neben mir im Matsch hockt,
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