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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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sich Merlin geschnappt.
    »Hmm«, sage ich bloß. »Und du? Du bist bei den Astroleuten, oder?«
    Sie nickt und meine Entscheidung ist gefallen, diese AG zu wählen, nicht nur, weil ich Gretchen schon kenne, sondern auch, weil Lina dort zuletzt Mitglied war. Der Grund für ihren Selbstmordversuch kann nicht ewig zurückliegen und vielleicht finde ich dort etwas heraus.
    Jetzt sind wir in der Mensa angekommen, die aussieht, als wäre sie als Kulisse für Krieg der Sterne, Teil 7 entworfen worden. Die Wände sind aus Glas mit eingeschlossenen erstarrten Blubberblasen, die Decken aus Stahl und die Stühle aus türkisblauem Drahtgeflecht. Man erwartet geradezu, dass kleine weiße Roboter durch die Reihen rollen und das Essen servieren, aber das muss man sich genau wie in meiner Schule selbst am Tresen holen.
    »Hier, eine Marke. Damit kannst du alles essen, was du willst. Gib sie mir bei Gelegenheit wieder zurück, okay? Guten Appetit. Ich schau mal, ob ich das mit meiner Zigarette noch schaffe.« Gretchen zwinkert mir zu und schwebt davon.
    Ich bleibe stehen und versuche zu kapieren, wo man sich anstellen muss und wie das System hier funktioniert.
    »Die Lasagne ist heute super«, sagt plötzlich ein Typ neben mir. Die braunen Locken fallen in sein schmales sonnenverwöhntes Gesicht, er schnickt sie mit einer lässigen Geste weg und dann fixieren mich seine Augen, deren Farbe ich nicht recht bestimmen kann – Braungrüngold irgendwas –, und weil er ein bisschen größer ist als ich, was selten vorkommt, muss er sogar zu mir herunterschauen. Und ich habe den Eindruck, ihm gefällt, was er da sieht, denn nach einem kurzen Moment zeigt er auf das Getümmel am Tresen. »Du bist neu hier, oder? Brauchst du Hilfe?«
    »Nein, das schaff ich schon.«
    »Wenn du willst, dann setz dich doch nachher zu mir. Ich bin Dennis. Dennis Wallenstein junior, um genau zu sein.« Er grinst mich an, als wäre es ganz normal, fremde Mädchen so anzustrahlen, dann geht er weg, schnickt seine Haare wieder aus dem Gesicht, dreht sich noch einmal nach mir um, dabei stolpert er über einen Rucksack, der am Boden liegt, und die Schorle auf seinem Tablett gerät gefährlich ins Wanken. Er rettet sie mit großer Geste. Jetzt muss ich auch grinsen.
    Scheint ein netter Kerl zu sein, dieser Dennis, auch wenn er ein blau-weiß gestreiftes und gebügeltes Hemd trägt, was sogar Pa zu spießig wäre. Damit wirkt er auf jeden Fall älter als die anderen, bestimmt ist er schon in der Abschlussklasse.
    Ich hole mir auch ein Stück Lasagne, dabei mag ich Lasagne gar nicht so gern, und steuere dann seinen Tisch an. Er hat mir den Platz wirklich frei gehalten. Als ich mich neben ihm niederlasse, werfen mir die anderen neugierige Blicke zu. Ich stelle mich kurz vor, und als ich Lina erwähne, senken alle betrübt ihre Köpfe und murmeln so etwas wie »Gute Besserung« und »Echt eine Schande, das« vor sich hin. Dann herrscht für einen Moment Stille.
    »Kennt einer von euch meine Schwester vielleicht näher? Hat jemand eine Ahnung, warum sie das getan haben könnte?«, frage ich, woraufhin nach einer Schrecksekunde plötzlich alle wieder anfangen zu reden. Lina scheint ziemlich beliebt zu sein, zumindest kennt fast jeder sie hier. Genauso, wie fast jeder behauptet, er hätte niemals gedacht, dass Lina so etwas tun würde.
    Dennis tritt mich unter dem Tisch ans Schienbein. Ich zucke zusammen und starre ihn wütend an. »Was soll denn das?«
    Er streift seine Haare hinter sein linkes Ohr und wirft mir einen beschwörenden Blick zu. »Oh, sorry, das sollte nicht wehtun. Lass uns nachher darüber reden«, flüstert er mir zu. »Allein.«
    Ich kann es kaum erwarten, aber zuerst muss ich noch ins Sekretariat, um Formulare auszufüllen. Dann bringt mich die Schulsekretärin, bei deren Anblick die Rektorin meiner Schule im Allgäu ohnmächtig geworden wäre, zum Raum des Astroklubs, für den ich mich entschieden habe. Die Sekretärin ist kaum älter als ich und hat circa zwanzig Sicherheitsnadeln im Gesicht und genauso viele verschiedene Haarfarben auf ihrem Kopf. Dafür ist der Rest ihrer Garderobe tiefschwarz und kunstvoll zerlöchert.
    »Tut mir sehr leid mit deiner Schwester.« Sie zögert einen kurzen Moment. »Sie war schon die ganze letzte Woche so komisch. Erst wollte sie mit dem alten Hahner, dem Rektor, reden, dann mit der Margit, unserer Schulpsychologin. Aber die waren auf einer Tagung in Berlin und mir wollte sie nicht sagen, was sie auf dem Herzen hat.

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