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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Stiefel, grub sich in meine Innereien. Neéls Pistole. Ich packte sie, schoss, ehe ich den Lauf auf ihn gerichtet hatte. Der Rückschlag jagte unerträglichen Schmerz durch meinen verletzten Arm. Mein Körper schien von innen zu kreischen. Doch ich lud durch und schoss erneut. Lud durch. Schoss. Lud durch. Schoss.
    Plötzlich schrie hinter mir jemand auf. Der Percent brach zusammen, fiel auf mich, sodass sein Kopf gegen meinen krachte und sein Blut meine Sachen durchtränkte, bis es überall an meiner Haut klebte. Er gab scheußliche Laute von sich, während er starb. Dennoch verstand ich die Worte genau, die jemand hinter mir schrie.
    »Joy. Hör auf!«
    Irgendwer wimmerte, vielleicht war ich es. Ich drehte mich in seltsam asymmetrischen Kreiselbewegungen um mich selbst und fragte mich, wie das möglich war, wenn ich doch am Boden und der Percent auf mir drauflag.
    Ich ließ die Lider zufallen und im nächsten Moment war der Percent fort. Noch ehe es mir gelang, die Augen wieder zu öffnen, wurde ich an beiden Händen hochgezerrt. Durch meinen Arm schien eine zweite, lautlose Kugel zu wüten. Ich wollte schreien, aber aus meinem Mund kam nur ein schwaches Stöhnen.
    »Joy, Joy. Wir müssen weg hier, ein paar Schritte nur. Joy!«
    Das war nicht der tote Percent, der keinen Namen hatte und nie einen haben würde. Das war Neél. Er versuchte, mir etwas zu sagen, ich versuchte, etwas zu verstehen, aber wir schienen gegen unterschiedliche Seiten einer Mauer zu schreien und fanden keinen losen Stein, durch den wir uns finden konnten.
    »Joy!« Er schrie noch einmal meinen Namen, dann schlug er mir leicht ins Gesicht. Im nächsten Moment war die Mauer fort. Ich stand wieder auf beiden Beinen. Nahm die Pistole, die er aufgehoben hatte und mir in die Hände drückte, und steckte sie in den Hosenbund. Hörte, was er sagte.
    »Gib auf. Ich bringe dich heim. Es hat keinen Sinn, du kannst es so nicht scha-«
    »Nein!«
    »Joy!« Er weinte nicht, er weinte ganz sicher nicht, aber es klang beinahe so. »Giran hat mehrere Soldaten getötet. Du kannst es nicht schaffen, sie werden alle hinter dir her sein, weil jeder danach giert, einen Soldaten zu fangen. Gib auf. Ich beschütze dich.«
    Er log. Und er wusste es.
    Er hatte mir mehrmals gesagt, dass er mich nicht mehr beschützen konnte, nachdem er Amber für sich beansprucht hatte. Ich würde im Optimierungsprogramm landen und dann auf dem Müll, sobald sie feststellten, dass ich zur Fortpflanzung nichts taugte.
    »Nein«, sagte ich ein zweites Mal. Und plötzlich hielt er mein Messer, das Messer mit meinem in den Griff geritzten Namen, in der Hand und richtete es auf mein Herz.
    »Du wirst mitkommen.« Seine Stimme war eisig wie mein Arm. Die Tränen versengten mir dagegen Lider und Wangen. »Du bist meine Gefangene, Joy.« Und kaum hörbar flüsterte er: »Verzeih mir, aber ich kann dich nicht sterben lassen.«
    Ein Teil von mir gab auf, nicht nur den Kampf, sondern alles Denken und Fühlen. Der andere Teil lächelte. Meine gesunde Hand schloss sich beinahe zärtlich um seine Faust, die mein Messer hielt.
    Es geht nicht anders, oder?
    Nein, es geht nicht anders.
    Dann geht es nicht anders, Neél.
    Ich riss seine Hand hoch und stieß die eben noch auf mich gerichtete Waffe in seine eigene Schulter. Nie wäre mir das gelungen, hätte Neél mir nicht vollkommen vertraut. Vermutlich ritzte die Klinge bloß seine Haut, aber der Schreck traf ihn tiefer und die Zeit reichte mir, um mich herumzuwerfen und zu rennen.
    Irgendwo in meiner Brust saß der Schmerz, Neél verletzt zu haben. An der Oberfläche gab es nur eins: meinen unbedingten, kompromisslosen Drang nach Freiheit. Ich war so nah dran, so nah. Neél hatte die Macht, mir alles zu nehmen, was ich hatte, ich würde es ihm mit Freuden in die Hände legen. Nur diese eine Sache - meine Freiheit -, die nicht.
    Ich versuchte, mein Seil vom Unterarm zu lösen. Um den Ahorn zu erklimmen, brauchte ich es. Aber das Blut, das aus meinem Oberarm rann wie aus einer geborstenen Leitung, hatte das Leder schlüpfrig und die Knoten zäh gemacht. Ich bekam es nicht von meinem Handgelenk und so lief ich weiter, am Ahorn vorbei. Ich rannte durch niedrige Farne, die nach meinen Waden packten und sich um meine Knöchel wanden. Ich beachtete sie nicht, riss sie aus der Erde, kämpfte mich weiter. Immer weiter den Fluss entlang, der sein freundliches Märchen mit gutem Ende erzählte.
    Er log.
    Als sie mich fanden, wusste ich es lange, bevor ich sie

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