0213 - Colette und ihr Fallbeil
Das heißt, man hatte sie in den Schandkarren gesperrt, ein fahrendes Gefängnis, dieser Gitterwagen, auf dessen Ladefläche die schöne Manon Descartes hockte und von den alten Weibern angeschrieen und angespuckt wurde. Sie wollten sie auch schlagen, doch die einzelnen Stäbe saßen zu eng, die Hände kamen nicht durch.
»Mit glühenden Zangen sollte man dich foltern, verfluchte Hure!« brüllte ein besonders häßliches Weib, und ihre Augen wurden dabei groß und rund vor Wut.
Da wandte Manon den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde schaute sie die Schreierin an, die mit ihrer Keiferei sofort aufhörte, denn sie glaubte, hinter der schönen Larve der blonden Frau die Fratze des Gehörnten zu sehen.
Sie wurde still.
Der Wagen rumpelte weiter. Rechts und links des ungepflasterten Wegs stand die Menge. Auch Kinder waren mitgekommen. Für sie bedeutete diese Hinrichtung ein Volksfest mit Musik und Tanz, denn Händler waren gekommen und hatten ihre Zelte aufgebaut.
Gezogen wurde der Wagen von einem alten Pferd. Es trottete dahin und wiegte bei jedem zweiten Schritt seinen Kopf mit der langen Mähne, als würde es selbst Trauer über den baldigen Tod dieser schönen Frau empfinden.
Der Wagen rumpelte auch durch tiefe Schlaglöcher. Vom letzten Regen stand das Wasser darin. Wenn die mit Eisenreifen beschlagenen Räder hindurchfuhren, spritzten die Fontänen hoch und klatschten gegen die Kleidung der Neugierigen.
Noch hundert Meter bis zum Schafott! Auch Blutgerüst genannt von zahlreichen Menschen. Hier sollte sie sterben. Die Schneide würde ihr den Kopf vom Rumpf abtrennen.
Der Trommelwirbel begleitete sie auf den letzten Metern. Soldaten, bewaffnet mit Degen und langläufigen Gewehren, schritten vor und hinter dem Wagen her. Sie räumten die Menschen zur Seite, und manchmal blitzten die aufgepflanzten Bajonette, wenn sie die Gewehre gegen allzu Neugierige vorstießen.
Endlich sollte Manon Descartes sterben. Sie hatte genug Unheil angerichtet, sagten die einen. Vor allen Dingen die Frauen, denn ihnen war die Schönheit der blondhaarigen Manon ein Dorn im Auge. Die Männer dachten da anders. So mancher, der hier am Wege stand, hatte sie schon besucht und schöne Stunden bei ihr verlebt, aber davon wollte jetzt keiner etwas wissen.
Einmal schnaubte das Pferd unwillig, als es von einer schwieligen Hand berührt wurde. Dann aber trottete es weiter. Das Tier kannte den Weg zum Schafott genau, es wußte, daß dort ein. Sack Heu und ein Eimer mit frischem Wasser warteten.
Das Schafott stand vor der alten Herberge, einem grauen Haus, dessen Wirt sich über jede Hinrichtung freute, denn anschließend wurde bis spät in die Nacht hinein getrunken. Auch für den heutigen Tag hatte er sein Lager gefüllt. Der Rote schwappte in den Fässern, ein Rind und ein Schwein drehten sich auf den Spießen, und es würde wieder ein Kopf zu seiner Sammlung kommen, denn der Wirt hatte die Angewohnheit, die Masken der abgeschlagenen Köpfe zu sammeln und sie an seinem Haus zu befestigen. Deshalb nannte man seine Wirtschaft auch Haus der hundert Köpfe.
Jetzt stand er in der Tür und sah, wie zwei junge Burschen den Korb herbeitrugen, um ihn vor die Guillotine zu stellen. Wenn das Fallbeil nach unten raste, dann fiel der Kopf in den mit Sägemehl gefüllten Korb.
Ein Schauspiel, das alle Anwesenden mitbekommen wollten.
Noch ein paar Meter, dann würde das Pferd anhalten. Die letzten Schritte. Noch einmal steigerten die neben dem Gerüst stehenden fünf Trommler ihren Rhythmus, der allerdings abrupt verstummte, als der alte Gaul anhielt. Stille…
Selbst die Zuschauer wagten nichts mehr zu sagen. Sie kannten das schaurige Ritual und hielten jetzt schon den Atem an.
Der Scharfrichter erschien.
Ein Mann im schwarzen Gehrock, ungesunder Gesichtsfarbe und einer roten Säufernase, die aus dem schmalen Gesicht mit den tückischen Schweinsäuglein stach.
Neben ihm ging der Pfarrer. Ein Mönch in brauner Kutte. Er hielt das Gebetbuch aufgeschlagen und blieb stehen, um zuzusehen, wie Soldaten die Verurteilte aus dem Schandkarren zerrten.
Manche hatten sich gewehrt. Bis zum Schluß hatten sie um Gnade gefleht, gebettelt oder gebeten. Andere hatten getobt, den Henkern und Zuschauern die Pest an den Hals gewünscht und sich noch so lange gewehrt, bis ihr Kopf von kräftigen Händen in die kleine. Mulde gedrückt wurde.
Manon Descartes tat gar nichts.
Ihre Hände waren mit Seilen gefesselt. Sie hielt sie den Soldaten sogar hin, damit die
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