Dark Desires - Im Bann der Unsterblichkeit
triumphierte Jesse. „Wir haben uns vor ein paar Nächten unterhalten“, fuhr er fort. „Hinter der Gold Bar . Sie haben mich nach jemandem gefragt.“ Etwas im Blick seines Gegenübers ließ ihn stutzen. Die Verblüffung war einer Härte gewichen, die er nicht verstand.
„Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.“
Als der Fremde sich zum Gehen wandte, hielt Jesse ihn fest. So leicht würde er sich nicht abfertigen lassen! Der Fremde blieb stehen und schaute verwundert auf die Hand, die seinen Unterarm umschlossen hielt.
„Warum kann ich mich nicht richtig erinnern?“, brach es aus Jesse heraus. „Was haben Sie mit mir gemacht?“
„Gar nichts“, gab der Fremde ruhig zurück. Sein Blick bekam etwas Durchdringendes, fast Hypnotisches.
Graubraune Augen , dachte Jesse, und blinzelte gegen die Schläfrigkeit an, die ihn plötzlich überkam. Im nächsten Moment war der Fremde verschwunden. Jesse schaute sich verblüfft um. Inzwischen war er fast allein im Korridor. Lediglich einige Nachzügler eilten zu ihren Plätzen.
„Was geht hier vor sich?“, flüsterte er ratlos. „Ich halluziniere doch nicht!“
Nein, diesmal war er absolut sicher. Gleichgültig, was der Fremde behauptete, sie hatten sich hinter der Gold Bar unterhalten. Es war keine Einbildung und kein Traum gewesen. Warum diese Geheimnistuerei? Jesse ging langsam zurück zur Treppe, die er jetzt ganz für sich allein hatte. Auf halbem Weg nach oben zog er sein Handy aus der Hosentasche und drückte die erste der Schnellwahltasten. Es klingelte ewig lang. Er war kurz davor, aufzulegen als sich Nguyen endlich meldete.
„Ich hab ihn wiedergesehen“, berichtete Jesse. „Hier, im Stadion. Er hat behauptet, mich nicht zu kennen und ich habe keine Ahnung, warum.“
„Wen hast du wiedergesehen?“, fragte Nguyen irritiert.
„Den Mann von der Bar. Ich wusste, es war keine Einbildung!“
„Honey, du sprichst in Rätseln. Welcher Mann?“
In dem Moment fiel Jesse ein, dass Nguyen nichts von der sonderbaren Begegnung wusste.
„Merkwürdige Geschichte“, gab er vage zurück. Wie sollte er etwas erklären, das er selbst nicht richtig verstand?
„Die du mir ausführlich und in allen Details erzählen wirst.“ Nguyens Tonfall duldete keinen Widerspruch.
„Ich treffe mich um zehn mit Gary und Aaron im Nelly’s . Ich erwarte, dass du nach dem Spiel dort hinkommst.“
Jesse rang einen Augenblick mit sich und ergab sich schließlich in sein Schicksal. „Zu Befehl.“
„So ist’s brav. Jetzt geh zurück zu deinen Heteros, bevor sie dich vermissen.“
Sie verabschiedeten sich und Jesse gesellte sich zu Mandy und den anderen. Dem Geschehen auf dem Spielfeld konnte er nicht mehr richtig folgen, weil seine Gedanken ständig abschweiften. Den knappen Sieg der Demons , über den er sich normalerweise geärgert hätte, registrierte er lediglich am Rande. Auf dem Weg aus dem Stadion hielt Jesse in der Menge vergeblich nach dem Fremden Ausschau.
Mandy und die anderen wollten in die Innenstadt fahren, um ihren Kummer über die Niederlage in Alkohol zu ertränken. Jesse war froh, bereits eine Verabredung zu haben. Er erzählte nicht im Detail, was er vorhatte, denn er traute Mandy zu, sich ihm anzuschließen und die anderen mitzuschleppen. An der Richmond Railway Station trennten sie sich. Während Mandy mit den anderen auf die nächste Straßenbahn Richtung Downtown wartete, nahm Jesse den Bus zur Commercial Road.
Das Nelly’s lag in einer ruhigen Seitenstraße und war ein plüschiges Café mit Kuchen- und Salattheke und einer großen Auswahl an Sandwiches und Croques. Die Besitzerinnen, ein lesbisches Paar in den späten Vierzigern, hielten die Gäste bis spät in die Nacht mit Witz und Elan bei Laune. Wenn die Nachtclubs allmählich ihre Pforten schlossen, wurde es im Café richtig voll.
Das Nelly’s lag abseits der Commercial Road. Deshalb verirrten sich selten neugierige Einheimische oder Touristen dorthin, die bloß mal gucken wollten, wie Schwule und Lesben sich in freier Wildbahn verhielten.
Als Jesse Teil des Market-Teams gewesen war, hatten Nguyen und er sich vor fast jeder Schicht mit Gary und Aaron im Nelly’s getroffen, um sich für die Nacht zu stärken. Häufig war auch Denny dabei gewesen, der wie Aaron neben dem Kunststudium als Tänzer im Market arbeitete. Aaron und Denny waren ein Paar. Manchmal. Wenn sie nicht irgendeinen albernen Grund fanden, sich wieder zu trennen. Seit Jesse den Job gewechselt hatte, waren die
Weitere Kostenlose Bücher