Dark Desires: Im Bann der Unsterblichkeit
seine Augen, während er die Stufen hinaufraste. Im zweiten Stock holte er Mai-Li fast ein. Sie sah ihn herankommen und flüchtete durch eine offene Tür in einen langgestreckten Raum. Durch bodentiefe Fenster flutete Sonnenlicht und bildete helle Rechtecke auf dem staubigen Linoleum. Am Ende des Raums befand sich eine Metalltür. Wenige Meter vor der Tür blieb Mai-Li abrupt stehen und fuhr herum. Angst und Wut spiegelten sich auf ihrem Gesicht wider.
„Komm nicht näher!“, fauchte sie und duckte sich in den Schutz eines Pfeilers. Wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung.
Devon blieb stehen, in sicherem Abstand zu den Sonneninseln.
„Wo ist meine Schwester?“
„In Sicherheit.“
„Du lügst!“
„Sie hat uns geschickt, um dich aufzuhalten.“
„Du lügst!“ Ihre Stimme überschlug sich fast.
„Woher sollten wir sonst diese Adresse kennen?“
Mai-Li wurde unsicher. „Du lügst.“ Sie wich langsam vor ihm zurück. Bis sie die Metalltür erreicht hatte. Über der Tür hing ein grünes Schild, auf dem ‚Emergency Exit’ stand.
Dahinter musste sich der Steg zum anderen Gebäude befinden.
Von irgendwoher war auf einmal der schrille Schrei einer Frau zu hören. Mai-Lis Augen weiteten sich entsetzt. Im nächsten Moment vernahm Devon das Geräusch von splitterndem Glas. Wieder schrie die Frau. Diesmal war es ein angst- und schmerzerfülltes Kreischen. Es kam von draußen.
„Was geschieht jetzt mit mir?“ Mai-Lis Hand lag auf der Klinke der Metalltür.
„Wir bringen dich zum Herrscher der Stadt. Er wird über dein Schicksal entscheiden.“
„Wird er mich töten lassen?“
„Möglich.“ Sehr wahrscheinlich sogar.
Die junge Vampirin schob trotzig das Kinn vor. „Was gibt ihm das Recht dazu?“
„Unsere Gesetze.“ Devon trat langsam näher. „Du gefährdest unsere Tarnung und verwandelst Menschen gegen ihren Willen. Du tust ihnen an, was man dir angetan hat.“ Er machte eine kurze Pause. „Denkst du, diese Taten sollten ohne Konsequenzen bleiben?“
Ein Ausdruck unendlichen Schmerzes glitt über Mai-Lis Gesicht. „Ich bin ein Monster“, gab sie tonlos zurück. „Er hat mich in ein Monster verwandelt.“
„Wir können dir helfen.“ Vielleicht. Sebastian würde wenig Verständnis für ihre Lage zeigen.
„Wie?“ In der Frage schwangen gleichzeitig Hoffnung und Resignation mit.
„Indem wir dir einen erfahrenen Mentor zur Seite stellen, der dir unsere Regeln erklärt.“ Devon verkürzte den Abstand zu Mai-Li weiter. Um sie ganz sicher ergreifen zu können, bevor sie über den Steg entkam. „Es muss hier nicht enden. Du könntest Jahrzehnte überdauern, vielleicht sogar Jahrhunderte.“
„Jahrhunderte?“ Sie lachte auf. Ein freudloses, fast hysterisches Lachen. „Gefangen in diesem Körper? In diesem toten Stück Fleisch, das mich zwingt, entsetzliche Dinge zu tun?“
Devon erinnerte sich an ein ähnliches Gespräch, das er einmal mit Dashiell geführt hatte. „Du wirst lernen, deine Gelüste zu kontrollieren.“ Es war dieselbe Antwort, die er seinem Freund damals gegeben hatte.
„Aber ich werde niemals frei von ihnen sein.“
„Nein.“
Enttäuschung und tiefe Traurigkeit spiegelten sich auf Mai-Lis Zügen wider. „Er hat gesagt, ich wäre undankbar. Ich würde das Geschenk der Unsterblichkeit nicht zu schätzen wissen. Ich wünschte, er hätte es behalten!“ Entschlossenheit lag in ihrem Blick, als sie die Klinke herunter drückte und die Tür aufzog. Dahinter lag der vom Sonnenlicht überflutete Steg.
„Sag Soony, dass es mir leidtut.“ Ohne Devon aus den Augen zu lassen, trat Mai-Li auf den Steg hinaus. Nach wenigen Schritten hüllte das Sonnenlicht sie ein. Sie ging weiter, während sich die Haut auf ihrem Gesicht und den bloßen Armen rot färbte und Blasen zu schlagen begann.
Devon trat an die offene Tür, unschlüssig, was er tun sollte. Natürlich kannte er Geschichten von Vampiren, die der Ewigkeit müde wurden und ihr Dasein auf diese Weise beendeten. Gesehen hatte er es bisher nie und der Anblick erschütterte und faszinierte ihn zugleich.
Schwarze Flecken erschienen auf Mai-Lis Armen. Mit schmerzverzerrter Miene wandte sie sich der Sonne zu und umfasste mit beiden Händen das Geländer. Sie hielt die Augen fest geschlossen. Leises Wimmern entrann ihrer Kehle, doch sie bewegte sich nicht. Sie würde verbrennen und zu Staub zerfallen. Schlagartig wurde Devon klar, dass er das nicht zulassen konnte. Sebastian brauchte einen Schuldigen. Ein
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