DARK TRIUMPH - Die Tochter des Verräters
Vogel ist dem Netz entkommen.«
Julian reißt den Blick von mir los und schaut zum ersten Mal auf das Schlachtfeld hinab. »Die Herzogin ist entkommen?«
»Ich fürchte, ja.«
Er sieht mich schnell wieder an, aber ich behalte den Ausdruck der Verachtung auf meinem Gesicht bei wie einen Schild. »Er wird nicht glücklich darüber sein«, bemerkt Julian.
»Nein, das wird er nicht. Und wir werden den Preis dafür bezahlen.« Ich sehe ihn an, als bemerke ich erst jetzt, dass er nicht für den Kampf gerüstet ist. »Warum bist du nicht mit den anderen draußen auf dem Feld?«
»Ich habe den Befehl bekommen zurückzubleiben.«
Ein Stich der Angst durchzuckt mich. Lässt d’Albret mich denn so genau beobachten?
Julian bietet mir den Arm. »Wir müssen wieder in der Halle sein, bevor er zurück ist.«
Ich strahle ihn an, kuschele mich in seinen Arm und lasse ihn beinahe, nur ansatzweise, über meine Brust streifen. Es ist die einzige Macht, die ich über ihn habe – ihm meine Gunst zu gewähren, gerade so oft, dass er nicht selbst danach greift.
Als wir die Turmtür erreichen, schaut Julian über seine Schulter zu den Zinnen zurück, dann dreht er sich mit unergründlichem Blick zu mir um. »Ich werde niemandem verraten, dass du hier oben warst«, sagt er.
Ich zucke die Achseln, als spiele es für mich keine Rolle. Trotzdem befürchte ich, dass er mich für diese Freundlichkeit bezahlen lassen wird.
Schon jetzt bedauere ich, nicht gesprungen zu sein, als ich noch den Mut dazu hatte.
Zwei
I CH EILE NEBEN J ULIAN her und weigere mich, meinem Verstand zu erlauben, über die verschiedenen Möglichkeiten nachzugrübeln. Ich halte den Kopf hoch erhoben, meine Verachtung für alle um mich herum deutlich sichtbar auf meinem Gesicht. Und das ist wahrlich keine Schauspielerei, denn ich verabscheue fast alle hier, von d’Albrets Höflingen und Gefolgsleuten angefangen bis hin zu den kleinen rückgratlosen bretonischen Baronen, die ihm keinen Widerstand entgegengesetzt haben, als er die Burg ihrer Herzogin eingenommen hat. Feige Speichellecker, alle durch die Bank.
Julian bleibt direkt vor der großen Halle stehen, lässt eine kleine Gruppe von Bediensteten vorbeigehen und schlüpft dann hinter sie, damit unser Eintreten möglichst nicht bemerkt wird.
In der Halle eilen Diener stumm hin und her, bringen Weinflaschen, schüren das Feuer und versuchen, jedes Bedürfnis vorherzusehen, bevor sie ausgescholten oder bestraft werden, weil sie es nicht schnell genug bemerkt haben. Kleine Menschentrauben sind in der Halle verteilt und unterhalten sich verstohlen. Offensichtlich hat sie die Nachricht erreicht, dass d’Albrets Schachzug gescheitert ist und er nicht im Triumph zurückkehren wird.
Die einzige Person in der Halle, die nicht genug Verstand hat, Vorsicht walten zu lassen, ist Marschall Rieux, der Idiot. Er geht vor dem Kamin auf und ab und zürnt Madame Dinan, weil d’Albret ihm seine Ehre genommen habe, sein unter der Fahne des Waffenstillstands stattfindendes Treffen mit der Herzogin für seine Falle missbraucht hat. Ausgerechnet er redet von Ehre, obwohl er der persönliche Berater und Vormund der Herzogin war – bis zu dem Tag, an dem er sie verraten und sich mit d’Albret zusammengetan hat in dem Glauben, dass ihre vereinte Macht die junge Herzogin überzeugen würde, dass sie keine andere Wahl habe, als zu tun, was sie wünschten.
Aber sie hat sie alle überrascht.
Ein ohrenbetäubendes Klappern von Hufen erklingt draußen im Innenhof, als die Männer zurückkehren, gefolgt von soldatischem Lärm – das Scheppern von weggeworfenen Waffen, das Knarren von Leder, das Klirren von Kettenhemden und Rüstungen. Gewöhnlich folgen dann Siegesrufe oder raues Gelächter, aber nicht heute. Heute sind die Männer auf unheimliche Weise still.
Ein Dröhnen erklingt, als eine Tür aufgerissen wird. Schnelle, schwere Schritte kommen den Flur hinunter, begleitet von Sporengeklimper. Jeder im Raum – selbst Rieux – verstummt, als wir auf den heraufziehenden Sturm warten. Diener verschwinden unauffällig, und auch einige feige Gefolgsleute finden Ausreden, um die Halle zu verlassen.
Der Wunsch, anderswo zu sein, ist überwältigend. Das Beste, was ich tun kann, ist, still zu verweilen und mich nicht auf dem Absatz umzudrehen und wieder die Treppe hinaufzulaufen, in die Sicherheit der oberen Räume. Meine Schuldgefühle erfordern, dass ich bleibe und d’Albret zeige, dass ich nichts zu verbergen habe. Statt zu
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