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Dark Village - Das Böse vergisst nie

Dark Village - Das Böse vergisst nie

Titel: Dark Village - Das Böse vergisst nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjetil Johnsen
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Lippenstiftabdruck am Filter. Ein bisschen Asche flog auf den Boden neben die Toilette. Nora befeuchtete ein Stück Klopapier und kniete sich hin, um sie aufzuwischen. Kurz sah sie sich in dem großen Spiegel. Sie erstarrte.
    Ich bin fünfzehn Jahre alt und ich bin genauso ein Sauberkeitsfreak wie meine Mutter.
    Sie spülte das Papier in der Toilette runter, ging zur Tür und schloss ab. Dann setzte sie sich auf den Badewannenrand und blickte in den Spiegel.
    Es machte ihr nichts aus, dass Benedicte süß und hübsch war und eine perfekte Frisur und immer die richtigen Klamotten hatte. So war Benedicte eben, damit beschäftigte sie sich, solche Sachen interessierten sie. Nora wollte das alles sowieso nicht.
    Aber Vilde … dass sie sich so verändert hatte, tat weh.
    Nora und Vilde waren einander immer so ähnlich gewesen. Als sie klein waren, wurden sie oft für Schwestern gehalten. Beide hatten dunkle Haare und braune Augen, hohe Wangenknochen, ein breites Gesicht und einen großen Mund. Aber als sie in die Pubertät kamen, änderte sich plötzlich alles.
    Vilde schoss in die Höhe und wurde groß und dünn, während Nora das Gefühl hatte, dass nur ihre Hüften und der Hintern immer größer und runder wurden.
    Sie war nicht dick – das wusste sie –, aber sie war auch nicht schlank. Sie war … mittel. Mittelgroß, mitteldick, mittelsonstwas. Wohingegen Vilde … Vilde war plötzlich ganz anders!
    Irgendwie waren bei Nora der große Mund und die hohen Wangenknochen im Gesicht verschwunden, mit all dem Gewöhnlichen verwachsen. Das Besondere und Hübsche war ein fach ein Teil des Problems geworden, fand sie. Ein Teil von dem Breiten und ein bisschen zu groß Geratenen.
    Oft stand sie mit eingezogenen Wangen vor dem Spiegel, um zu testen, wie sie aussähe, wenn sie ein dünneres Gesicht hätte und ihre Wangenknochen zu ihrem Recht kämen. Bei Vilde war das Gegenteil passiert: Je größer und dünner sie geworden war, umso deutlicher waren der Mund und die Wangenknochen hervorgetreten. Ihr Kinn erschien dadurch ein bisschen spitzer und ihr Gesicht scharf und klar und eigenwillig.
    Sie waren einander doch so ähnlich gewesen! Jetzt hatten sie sich vollkommen unterschiedlich entwickelt. Wie zur Hölle hatte das passieren können? Als ob Gott – wenn es ihn überhaupt gab – sich entschlossen hätte, ein Exempel zu statuieren und noch mal zu verdeutlichen, wie es sich mit Eigenheiten und Entwicklung verhielt. Die Sache mit dem Entlein und dem Schwan, der Magd und dem Fotomodell. Oder er hatte es einfach aus reiner Gemeinheit gemacht: Guck dir das an! Wie ähn lich sich die beiden Mädchen sind! Aber jetzt pass mal auf, ich brauche bloß mit dem Finger zu schnippen und – schwupps! – schon sind sie völlig unterschiedlich. Nicht schlecht, was?
    Nora trommelte mit den Fingern gegen die Vorderseite der Badewanne. Es klang hohl, leer. Am liebsten hätte sie einmal fest dagegengehauen.
    Sie tat es natürlich nicht.
    Aus Vilde war etwas geworden. Vilde war eine, der die Leute einen zweiten Blick zuwarfen. Sie war wie eine junge und eigenwillige Ausgabe von Julia Roberts. Pretty Woman mit Angst vor dem Spiegel und zweifelhaften Ansichten. Sie war mit allem gesegnet und wollte nichts davon. Vilde hasste es aufzufallen.
    Sie war immer so gewesen, wollte sich nie hervortun. Schon im Kindergarten war Vilde wütend geworden und hatte angefangen zu schreien, wenn die Leute Duziduzidu bei ihr machten und Gott, wie niedlich sagten.
    So war es bis heute.
    Wollte man Vilde ärgern, musste man ihr Komplimente für ihre Frisur oder ihre Klamotten machen.
    Das ist doch zu blöd , dachte Nora und betrachtete sich im Spiegel. Sie trug einen hellblauen Pulli, der fast dieselbe Farbe hatte wie die Wand hinter ihr. Für einen Moment verschwand sie; sie war nicht mehr da, wurde eins mit dem Raum. Sie musste die Augen zukneifen und noch mal hinschauen. Und dann sah sie sich wieder.
    Sie musterte sich eingehend.
    Sie sog die Wangen ein und drehte den Kopf, um festzustellen, ob ihr Gesicht auf die Art schmaler wirkte. Nicht nennenswert.
    Aber ich bin über den Sommer braun geworden, dachte sie. Das ist schön. Ich bin fast so braun wie Benedicte. Und die geht das ganze Jahr über ins Solarium, drei Mal pro Woche achtzehn Minuten.
    Es gelang ihr, für ein paar Minuten zufrieden zu sein. Erst als sie wieder in ihrem Zimmer war und sich über den Zigarettenqualm ärgerte, ging ihr auf, wie armselig das war. Braun.
    Was hieß das schon? Jeder

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