Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
Entscheidung zum Drogenkonsum (Nikotin, Alkohol usw.) oder einer stressigen Arbeit nachzugehen, nicht nur das eigene Genregulationssystem (Epigenom) formen, sondern auch das Schicksal unserer direkten Nachfahren über mehrere Generationen hinweg erheblich beeinflussen. Hatte Lamarck in gewisser Weise doch nicht ganz unrecht, wenn er an die Vererbung erworbener Eigenschaften glaubte? Es gibt noch viele offene Fragen und genügend Stoff für einige Forschergenerationen.
Im Rahmen unserer Evolutionsthematik scheint vor allem eines bedeutsam. In den epigenetischen, also nicht in den Bausteinsequenzen der Gene festgelegten Informationen könnte auch ein Schlüssel zum Verständnis der verschiedenen Phasen der Individualentwicklung (embryonal, juvenil, adoleszent) eines Lebewesens sowie der Zelldifferenzierung liegen. Auch auf die Frage, warum sich Angehörige verschiedener Arten oder Gattungen trotz hohem genetischem Übereinstimmungsgrad in ihrem äußeren Erscheinungsbild so deutlich voneinander unterscheiden (z. B. die über 98%ige genetische Identität von Mensch und Schimpanse), kann die Epigenetik der Zukunft vielleicht einmal Antwort geben.
Eine Erkenntnis ist uns heute jedenfalls bewusst. Die anfängliche Euphorie, die auf der Annahme basierte, mit der vollständigen Bausteinsequenzierung der Genome und Identifizierung der Gene sei der entscheidende Meilenstein im Verständnis der Lebensgrundlage geglückt, war verfrüht. Die Bedeutung der Epigenome scheint enorm. Die Entschlüsselung des Erbmaterials, vor allem aber die Aufdeckung der epigenetischen Regulationsmechanismen ist ein anspruchsvolles Forschungsvorhaben, das noch einigen Generationen von Wissenschaftlern in Atem halten wird.
Doch verlieren wir nicht unser eigentliches Thema aus den Augen. Was hat das Phänomen „Genregulation“ mit der Kritik an Darwins Abstammungsmodell zu tun? Auf den ersten Blick scheint hier eine große Distanz zu liegen, begünstigt auch durch den zeitlichen Abstand zwischen der durch Naturbeobachtung getragenen Wissenschaft des 19. und der DNA-Analytik des 21. Jahrhunderts. Trotz aller heute etablierten gentechnischen Verfahren, ob im Pflanzenschutz, bei der Lebensmittelproduktion oder in der Medizin, wird der grundlegende Zusammenhang zwischen dem Genotyp (Bausteinsequenz der DNA) und dem Phänotyp (Erscheinungsbild des Organismus inklusive all seiner funktionalen Abläufe) von Gegnern des Evolutionsgedanken angezweifelt. Ihre Argumentation stützen sie dabei hauptsächlich auf die Informationsverteilung auf unseren Erbmolekülen. Nach heutigem Kenntnisstand ist nämlich die gesamte in den Phänotyp übersetzte Information auf nur einem Bruchteil der Gesamt-DNA einer Zelle gespeichert. Beim Menschen liegt dieser Anteil nach den Ergebnissen des 1990 gestarteten „Human Genome Project“, das sich die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA zur Aufgabe gemacht hat, bei nur fünf bis zehn Prozent. Vordergründig scheinen somit über 90 % unseres Erbmaterials brachzuliegen. Für die Evolutionskritiker Beleg genug, zu folgern: Wenn „survival of the fittest“ wirklich seine Gültigkeit hätte, warum wurden die offenbar informationslosen DNABereiche dann über so viele Generationen hinweg „mitgeschleift“ und nicht in Darwins Sinne von der „gnadenlosen“ Selektion eliminiert? Die Antwort ist eindeutig und im Gegensatz zu der Kritikermeinung mittlerweile auch wissenschaftlich untermauert. Die scheinbar nutzlosen Abschnitte, aus ursprünglicher Unkenntnis heraus wenig schmeichelhaft mit der Bezeichnung „junk-DNA“ herabgewürdigt, sind keinesfalls so unerklärlich und evolutionskonträr, wie Darwingegner das behaupten. Mit fortschrittlichen molekularbiologischen Analysemethoden ließ sich mittlerweile nachweisen, dass die langen Bereiche nicht-codierender, also keine Informationen für Proteine tragender DNA von essenzieller Bedeutung für die Regulation aller DNA-Funktionen sind. Die beschriebenen epigenetischen Mechanismen rund um das Methylierungsgeschehen haben das sehr schön gezeigt. Aber das ist längst nicht alles. Sowohl für die Verdopplung der DNA (Duplikation vor der Zellteilung) als auch für die Ablesung (Transkription) im Rahmen der Proteinbiosynthese („vom Gen zum Phän“) werden besondere Erkennungssequenzen (z. B. Promotoren, Enhancer) benötigt. Sie ermöglichen den zahlreichen, an diesen überaus komplexen Vorgängen beteiligten Enzymen erst den interaktiven Zugang zur DNA. Da gibt es z.
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