Lieblingsmomente: Roman
Das Gedränge ist wie immer groß, aber meine Kamera gibt mir Schutz und das pinkfarbene Bändchen um mein Handgelenk ohnehin. Die meisten kennen mich, grüßen kurz und posieren für ein Foto – ob es jemals veröffentlicht wird, entscheide ich. Die verschiedenen Gesichter der Party ziehen an mir vorbei, und jedes einzelne erzählt eine eigene Geschichte. Das Schönste an meinem Job ist, jede dieser Geschichten mit einem einzigen Bild nachzuerzählen.
Es ist laut, und es riecht nach einer Mischung aus Bier, Schweiß und Sommerluft. Der laue Abend wird zur vielversprechenden Nacht. Mit anderen Worten: Es ist perfekt. Ein Open-Air-Event mit einem guten DJ und tanzenden Menschen, die laut zu jubeln beginnen, als sie das gerade einsetzende Stück erkennen. Es ist die Hymne dieser Partygeneration. Paul Kalkbrenner hat mit Sky and Sand ein Lied für genau diesen Moment geschrieben, das Gefühl von Sommer und ein bisschen Freiheit. Es ist der perfekte Soundtrack für das Leben auf der Tanzfläche. Jeder hier liebt das Lied, und so werde ich Zeugin eines kollektiven Tanzrausches. Jetzt und hier fühle ich mich mit meiner Mission am wohlsten. Mitten in dieser tanzenden, selbstvergessenen Menge. Hier entstehen die schönsten Fotos, weil niemand posiert, weil alle in der Trance der Musik sind, sich ihr hingeben, nicht nachdenken und in den nächsten Minuten auch keine Zeit zum Nachdenken haben werden. Fast möchte man meinen, die Menschen um mich herum wollten alle zusammen die im Refrain besungenen Schlösser im Himmel und im Sand bauen.
Ich bewege mich langsam durch die Menge, wie durch ein Meer aus sich bewegenden Körpern, lasse mich von ihm tragen und erhasche dabei Momente, die ich mit meiner Kamera für immer festhalte.
Da in der Mitte, irgendwo, als einer von vielen, steht dieser junge Mann, die Augen geschlossen. Während sich alle um ihn herum mehr oder weniger gleich bewegen, steht er wie ein Fels in der Brandung da, als wäre er in einer anderen Welt. Nur das Lächeln auf seinen Lippen verrät, dass auch er den Beat des Liedes hört und dass es ihn zu berühren scheint. Ich kann nicht anders, ich muss dieses Foto machen, auch wenn es sich anfühlt, als würde ich bei etwas stören. Er sieht so friedlich aus, passt so gar nicht in das laute und bunte Treiben hier auf der Tanzfläche. Ich betrachte ihn einen kurzen Moment durch den Sucher meiner Kamera – noch immer steht er da, bewegt sich nur ganz leicht hin und her. Er wirkt größer als die anderen, trägt ein schlichtes weißes T-Shirt, keinen Schmuck, keine besonderen Kennzeichen. Meine Kamera verfügt über einen 400-fachen Zoom, und so betrachte ich sein Gesicht für einen kurzen Moment. So ruhig. So markant. Vermutlich irre ich mich, aber da ist plötzlich ein Gefühl, das ich kenne, an das ich mich aber nicht mehr genau erinnere. Dann springe ich schnell wieder zurück in die Ausgangsperspektive: die tanzende Menge im Anschnitt, ihn mittig vor den bunten zuckenden Lichtern. Ich drücke ab. Einmal. Zweimal. Gleich viermal und mehr. Ich möchte eine Auswahl zu Hause vor dem Bildschirm treffen können. Das wird zumindest die offizielle Erklärung, falls mich jemand fragt. Die Wahrheit ist eine andere.
Und dann passiert es. Ganz ohne Vorwarnung oder Anzeichen. Es kommt aus dem Nichts, und es geschieht so schnell. Selbst wenn ich es hätte kommen sehen, hätte ich es nicht aufhalten können. Ein Ellenbogen schießt von der Seite ins Bild, trifft sein Gesicht, und bevor ich den Auslöser drücken kann, ist alles aus dem Bildausschnitt verschwunden. Ich sehe nur noch tanzende Menschen. Sofort nehme ich die Kamera runter und sehe mich suchend um, aber außer mir scheint es niemand bemerkt zu haben. Wieso auch? Die Musik übertönt alles, und wer sich einmal dem Beat verschrieben hat, der nimmt die Umgebung ohnehin nicht mehr wahr. Wo ist er? Ich schiebe mich durch die Menge, halte die Hand schützend vor das Objektiv meiner Kamera und schaffe es schließlich an den Rand. Hier ist die Luft etwas frischer, aber die Musik nicht weniger laut. Ich sehe mich suchend um. Da vorne ist er. An der Bar. Er lehnt mit dem Rücken an der Theke, hält sich mit einer Hand fest und presst die andere an sein linkes Auge. Ich sehe Blutflecken auf dem Kragen seines T-Shirts und komme langsam auf ihn zu, von etwas angezogen, das ich nicht erklären kann.
Er ist wirklich ziemlich groß, trägt dunkle Jeans und Turnschuhe. Ein Gürtel versucht die Hose in einer anständigen
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