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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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Kritik gefallen lassen. Die überragende Bedeutung der Selektion als den Zufall quasi in Bahnen lenkende Wegweiserin war in Darwins Prototyp der Evolutionsmodells ebenso präsent wie in der um viele Forschungsergebnisse angereicherten Form des heutigen Darwinismus. Warum die Gegner Darwins den Zufall jetzt dermaßen hochstilisieren, ist angesichts unseres molekularen Kenntnisstandes umso verwunderlicher. Man sollte sich doch zumindest einmal mit den modernen Forschungsergebnissen befassen, bevor man derartige Kritikpunkte ins Feld führt. Anderenfalls erweist sich ein vermeintlich wirkungsvolles Feuerwerk als harmloser Knallfrosch.
    4. Der solitäre Supertyp - Darwin sucht nicht den Superstar: Die Fehlinterpretation des Fitnessbegriffs als allein über physische Kraft und Rohheit definierte evolutionäre Erfolgskomponente sowie die Unterstellung, Selektion bedeute stets die exklusive Überlebenserlaubnis für eine Optimalvariante, liefert das völlig unzutreffende Bild einer originären Zielorientierung des Evolutionsgeschehens. Demnach liefe alles auf das finale Überleben eines einziges „Organismus optimus“ hinaus – in Gestalt eines ruchlosen Serienkillers, dem Superstar in der Darwin’schen Castingshow. Und damit schlösse sich dann das „Kapitel Erde“, da das gesteckte Endziel erreicht wäre. Wie Darwin wirklich die Überlebenschancen von Varietäten einschätzte und damit die Stringenz der Selektion definierte, schreibt er in seinen Ausführungen zu den Beziehungen des Überlebenskampfes zur natürlichen Zuchtwahl ( Kapitel 3 ): „In diesem Wettkampf [nicht Krieg; Anmerkung des Autors] werden Abänderungen, wie gering und auf welche Weise immer sie entstanden sein mögen, wenn sie nur für die Individuen einer Spezies in deren unendlich verwickelten Beziehungen zu anderen organischen Wesen und zu den physikalischen Lebensbedingungen einigermaßen vorteilhaft
s
ind, die Erhaltung solcher Individuen zu unterstützen neigen und sich meistens durch Vererbung auf die Nachkommen übertragen. [...] Ich habe dieses Prinzip, wodurch jede solche geringe, wenn nur nützliche Abänderung
e
rhalten wird, mit dem Namen ‚natürliche Zuchtwahl‘ belegt, um seine Beziehung zum Wahlvermögen des Menschen zu bezeichnen. Doch ist der von Herbert Spencer 23 oft gebrauchte Ausdruck ‚Überleben der Passendsten‘ zutreffender.“ An anderer Stelle ( Kapitel 4 ) äußert sich Darwin zu dem, was wir heute unter Neutralmutationen verstehen. Das sind Erbgutveränderungen, die für den Träger weder einen erkennbaren Nutzen haben noch irgendwelchen Schaden anrichten: „Abänderungen, welche weder vorteilhaft noch nachteilig sind, werden von der natürlichen Zuchtwahl nicht berührt und bleiben entweder ein schwankendes Element, wie wir es vielleicht in den sogenannten polymorphen Arten sehen, oder werden endlich fixiert infolge der Natur des Organismus oder der Natur der Bedingungen.“ Obwohl nicht offensichtlich vorteilhaft, werden solche neutralen Mutanten also von der Selektion nicht notwendigerweise ausgemerzt. Der Ausleseprozess ist eben nicht einzig auf „optimal“ programmiert, sondern vielmehr auf „nicht nachteilig“. Möglicherweise werden sich aktuell neutrale Varianten später bei Änderung der Anforderungsprofile (Umweltbedingungen) einmal als nützlich oder hinderlich erweisen und dann entsprechend von der Selektion behandelt.
    In Darwins Ausführungen findet sich somit nichts von einem rigorosen, nur die „Crème de la Crème “ herausfilternden Alles-oder-nichts-Auslesemechanismus. „Einigermaßen vorteilhaft“ und jede „geringe, wenn nur nützliche Abänderung“ – das sind Darwins Worte. Überleben wird nicht der rabiate Gewalttäter, sondern der „am besten in die unendlich verwickelten Beziehungen zu anderen Wesen und physikalischen Lebensbedingungen eingepasste“. Evolution ist keine unidirektional auf ein punktuelles Ziel hinauslaufende Castingshow à la „Darwin sucht den Superstar“, sondern ein breit gefächertes Entwicklungsszenario, das sehr viel Raum für Koexistenz mit Allianzen und auch Feindlichkeiten offenlässt. Eine überragende Bedeutung von Gewalt und konfrontativer Auseinandersetzung mit Tötungsabsicht macht in keiner Weise das Wesen des Evolutionsmodells aus.
    Wenngleich die Eingrenzung des Überschusses an Nachkommen im Abgleich mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen als wesentliche Aufgabe der Selektion anzusehen ist – nur so kann ein stabiles Biosystem

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