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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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Dasein gegen die Trockenheit, wenngleich es wohl angemessener zu sagen wäre, sie hänge von der Feuchtigkeit ab. Von einer Pflanze, die alljährlich tausend Samen erzeugt, unter welchen durchschnittlich nur einer zur Entwicklung kommt, kann man noch zutreffender sagen, sie kämpfe ums Dasein mit anderen Pflanzen derselben und anderer Arten, welche bereits den Boden bekleiden. Die Mistel ist vom Apfelbaum und wenigen anderen Baumarten abhängig; doch kann man nur in einem weit hergeholten Sinne sagen, sie kämpfe mit diesen Bäumen; denn wenn zu viele dieser Schmarotzer auf demselben Baum wachsen, wird er verkümmern und eingehen. Wachsen aber mehrere Mistelsämlinge auf einem Ast dicht nebeneinander, so kann man zutreffend sagen, sie kämpfen miteinander. Da die Samen der Mistel von Vögeln ausgestreut werden, so hängt ihre Existenz auch vom Dasein der Vögel ab. So kann man metaphorisch sagen, die Mistel kämpft mit anderen Beeren tragenden Pflanzenarten darum, die Vögel zu veranlassen, eher ihre Früchte zu verzehren und ihre Samen auszustreuen als die der anderen Pflanzen. In diesen vielfältigen Bedeutungen, welche ineinander übergehen, gebrauche ich der Bequemlichkeit halber den allgemeinen Ausdruck ‚Kampf ums Dasein‘.“
    Diese Passage zeigt sehr deutlich den bildlich weit gefassten Charakter des Kampf-Begriffs und wie wenig konfrontativ er gemeint ist. Direkte physische Auseinandersetzungen sind eher die Ausnahme. Darwin geht hier auch auf die Bedeutung von Symbiosen ein sowie auf die Existenz inner- wie zwischenartlicher Konkurrenz.
    Es soll wie gesagt keineswegs verschwiegen werden, dass im Tierreich auch direkte Tötungen zum Überlebenskampf gehören, die menschlichen Wertvorstellungen zuwiderlaufen mögen. Auch Darwin spricht gelegentlich vom Krieg der Natur. Vernichtung von Leben bis hin zum Aussterben ganzer Arten ist Teil der Evolution. Paradoxerweise ist aber das einzige Lebewesen, das sich selbst ein Moralsystem geschaffen hat, auch das einzige, das völlig amoralische Tötungen aus niederen Motiven praktiziert. Im gesamten übrigen Organismenreich sind derartige Motivlagen nicht zu finden, weshalb der Tatbestand des Mordes hier nie anzutreffen ist. Intellektuell geplante Vernichtungskampagnen, getrieben von individueller Machtgier und emotionaler Perversität (Sadismus, Mordlust) sind Unikate des Menschen. Nur seine Kriege sind abnorme Entgleisungen, die mit dem sogenannten Krieg in der Natur nichts gemein haben. Der natürliche Tod vollzieht sich ohne bewusst provozierte Qual. Darwin schreibt im Schlussabsatz des dritten Kapitels, „dass jedes [Wesen] zu irgendeiner Zeit seines Lebens oder zu einer gewissen Jahreszeit, in jeder Generation oder nach Zwischenräumen ums Dasein kämpfen muss und großer Vernichtung ausgesetzt ist. Wenn wir über diesen Kampf ums Dasein nachdenken, so mögen wir uns mit dem festen Glauben trösten, dass der Krieg der Natur nicht ununterbrochen ist, dass keine Furcht gefühlt wird, dass der Tod im Allgemeinen schnell ist […].“
    Möglicherweise ist menschliches Tötungsverhalten das Produkt einer fehlgeleiteten Überspezialisierung, die immer unflexibel macht und im Laufe der Evolution schon oft zum Aussterben von Arten geführt hat. Dem Riesenhirsch wurde vermutlich das überdimensionierte Geweih zum Verhängnis, da es diesem Vegetarier den Zugang zu den sich nacheiszeitlich immer weiter ausbreitenden dichten Wäldern verwehrte. Wird für uns die einseitige Überentwicklung gerade jenes Organs, das uns bis dato durch Kompensation physischer Defizite das Überleben sicherte, einmal zur Selbstausrottungsmaschinerie? Bislang haben Träger von Gehirnen, die auf Vernichtung fokussiert sind, nicht die Oberhand erlangen können. Sollte das Verhältnis einmal kippen, wird das Kapitel Mensch und Krieg mit ziemlicher Sicherheit geschlossen.
    Wie ein Überlebenskampf völlig ohne Direktkonfrontationen (wenn man von der Venusfliegenfalle und anderen karnivoren Gattungen absieht), in Form einer reinen Ressourcenkonkurrenz die Evolution vorangetrieben hat, zeigt uns die in Pracht und Vielfalt phänomenale Pflanzenwelt. Aber selbst hier hat der Tod – etwa in Form des Verdorrens, Zertreten- oder animalischen Gefressenwerdens seinen festen Platz. Eigenartigerweise misst unser Gefühlskorsett allen Formen der Vernichtung pflanzlichen Lebens nicht annähernd die Tragik bei, die wir beim Ableben tierischer Organismen empfinden. Logisch ist das wahrlich nicht, da die

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