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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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entstehen –, deutet nichts auf eine drastische Reduzierung der Artenvielfalt zugunsten eines oder weniger Superorganismen hin. Will man es mathematisch ausdrücken, kann man sagen, Selektion ist kein duales System mit den beiden Schalterpositionen „Leben“ und „Tod“, sondern ein Filtermechanismus, dessen Produkt eine Häufigkeitsverteilung verschiedener Qualitäten, also mehr oder minder gut an die Umwelterfordernisse adaptierter Merkmalskombinationen ist. Je besser der Anpassungsgrad, desto höher die Reproduktionsrate, desto stärker wächst die Stückzahl.
    Im Gesamtergebnis eines Selektionsprozesses muss also keinesfalls ein Konglomerat aus nur überragenden Merkmalen herauskommen. Eine weniger gute Eigenschaft ist kein Todesurteil, kann durch andere Vorteile kompensiert werden. Entscheidend ist, dass das Gesamtkonzept den Anforderungen der Umwelt in ausreichendem Maße gerecht wird, um das Überleben zu sichern. Wer weniger fit ist, wird weniger gute Vermehrungschancen haben als bessere Konkurrenten. Aber er wird nicht stante pede ausgemerzt und kann durchaus auch längere Zeit im Schatten der „Stars“ existieren. Vielleicht werden sich seine Chancen verbessern, wenn sich in Sachen Umwelt etwas Entscheidendes tut – sich ein Meteorit auf die Erde verirrt oder das Klima wandelt. So war es auch vor 65 Millionen Jahren, als die herrschende Saurierkaste abberufen wurde und unter veränderten Bedingungen andere Qualitäten als Größe und Kraft gefragt waren. Die zuvor unscheinbaren spitzhörnchenartigen Säugetier-„Underdogs“ – bislang wahrlich keine optimal angepassten Stars, aber ausreichend „fitte“ Mitläufer – profitierten von den Umwälzungen und avancierten im Laufe der folgenden Jahrmillionen zu zahlreichen heute recht weit oben auf der Anpassungsskala zu findenden Spezies. Evolution ist somit durch die Brille des Mathematikers betrachtet eine Verschiebung von Häufigkeiten älterer und neu hinzukommender Merkmalskombinationen. Und da finden eben auch wertneutrale Muster ihren Platz, die zumindest für uns keinen bevorzugungswürdigen Nutzen erkennen lassen. Da gerade diese Erklärung bei den Kritikern auf große Ablehnung stößt, soll im Folgenden kurz auf ein Thema eingegangen werden, das in diesem Kontext besonders brisant erscheint.
Schmückendes Beiwerk – schön aber nutzlos?
    In ihrer Fehlinterpretation der Selektion als blindem, nur auf Auslese des Optimums fixiertem Motor der Evolution sehen die Kritiker im langfristigen Konservieren nicht offenkundig nützlicher Merkmale einen klaren Gegenbeweis. Wie konnten diese oder jene Körperstruktur, Fellfarbe oder Verhaltensweise über Äonen hinweg existieren, ohne ihren Trägern einen erkennbaren Fitnessgewinn im Hinblick auf eine Höherentwicklung zu verschaffen?
    Derartige „Nutzlosigkeit“ ist keine Seltenheit in der Natur. Der Mensch etwa hadert mit dem ungeliebten Wurmfortsatz seines Blinddarms, der sich bestenfalls durch Unauffälligkeit auszeichnet, im Entzündungsfall aber höchstens dem Chirurgen ein Euro-geschwängertes Lächeln entlockt (beim gesunden Menschen trägt der Wurmfortsatz zwar zur lokalen Immunabwehr im Darmbereich bei, aber es geht ja auch ganz gut ohne ihn). Farben- und Formenpracht im Tier- und Pflanzenreich verzaubern unser ästhetisches Empfinden, aber wie helfen sie den Trägern im Wettstreit um die evolutionäre „Poleposition“? Wie können verschiedene Tierarten seit Jahrtausenden so schwere Defizite wie Blind- oder Taubheit mit sich herumschleppen, ohne sich in den engen Maschen der Selektion zu verfangen? Gar nicht, sagen die Gegner Darwins. Schließlich habe der ja das permanente Wirken der Selektion gelehrt. Und daher ließe dieses Fitness-orientierte Evolutionsmodell keinen Platz für schmückendes Beiwerk oder nicht profitablen Luxus. Hinzu kommen noch all jene Fälle, in denen neutrale Merkmale über Jahrtausende hinweg als reiner Ballast mitgeschleppt werden, um dann aufgrund einer unvorhersehbaren Umweltveränderung „plötzlich“ doch noch zum Bonuspunkt zu avancieren. Ein gutes Beispiel liefern die bereits erwähnten „
Wandelnden Blätter
“, jene Mimesekünstler, die ihre Gespensterschreckennatur als Blattdoppelgänger tarnen, um sich gegen Fressfeinde zu schützen. Sie taten dies allerdings schon vor rund 300 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als an Laubbäume noch gar nicht zu denken war. Nadelhölzer bildeten damals den natürlichen Lebensraum der Schrecken. Was sollte da

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