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Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Titel: Darwin und die Götter der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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wird Watt so viel Ehre zuteil, und darum verdient er sie letzten Endes auch. Er verdient sie aber auch für seine systematischen quantitativen Experimente, seine Konzentration auf die Theorie, die der Dampfmaschine zugrunde liegt, und für seine Entwicklung des Konzepts – nicht als ihr Erfinder.
    Und schon gar nicht dafür, dass er als Kind einem Topf beim Kochen zugesehen hat.
    Die Geschichte der Einführung der Dampfmaschine von Boulton und Watt ist im Wesentlichen eine Evolutionsgeschichte: Der tüchtigste Entwurf überlebte, die weniger tüchtigen wurden aufgegeben und verschwanden aus der Geschichte. Womit wir bei Darwin und der natürlichen Auslese wären. Das viktorianische Zeitalter war eine ›Dampfmaschinenzeit‹ für die Evolution; Darwin war nur einer von vielen, die die Veränderlichkeit der Arten erkannten. Verdient er die Ehre der Urheberschaft, die ihm zugeschrieben wird? War er wie Watt derjenige, der die Theorie zum Gipfelpunkt brachte? Oder spielte er eine innovativere Rolle?
    In einem der Entstehung vorangestellten ›Geschichtlichen Überblick‹ erwähnt Darwin mehrere von seinen Vorgängern. Er hat also gewiss nicht versucht, sich die Ideen anderer zuzuschreiben. Es sei denn, man hängt der ziemlich Machiavellischen Denkweise an, anderen Ehre zuteil werden zu lassen, sei nur eine hinterlistige Art, sie mit falschem Lob zurückzusetzen. Ein Vorgänger, den er nicht erwähnt, ist vielleicht der interessanteste von allen: sein eigener Großvater, Erasmus Darwin.* [* In der 6. Auflage der Entstehung von 1872, der letzten von Darwin selbst besorgten, wird Erasmus in einer Fußnote als Vorläufer von Lamarck ausdrücklich erwähnt. Im ›Geschichtlichen Überblick‹ und in der Einleitung unterscheiden sich die verschiedenen Auflagen der Entstehung auch in anderen Punkten z. T. erheblich. – Anm. d. Übers. ] Vielleicht fand Charles Erasmus ein wenig zu sonderlich, um ihn zu erwähnen, zumal als Verwandter.
    Erasmus kannte James Watt und hat ihm vielleicht geholfen, seine Dampfmaschine zu propagieren. Beide waren Mitglieder der Lunar Society, der ›Mondgesellschaft‹, einer Organisation von Technokraten in Birmingham. Ein weiteres Mitglied war Josiah Wedgwood, der Großvater von Darwins Onkel Jos und Begründer des berühmten Keramikunternehmens. Die ›Mondsüchtigen‹ trafen sich einmal im Monat zur Zeit des Vollmonds – nicht aus heidnischen oder mystischen Gründen oder weil sie alle Werwölfe gewesen wären, sondern weil sie auf diese Weise den Weg gut sehen konnten, wenn sie nach ein paar Gläsern und einem guten Essen heimfuhren.
    Erasmus, ein Arzt, hatte auch ein Händchen für Maschinerie, und er erfand einen neuen Lenkmechanismus für Wagen, eine horizontale Windmühle, um für Josiah Pigmente zu mahlen, und eine Maschine, die das Vaterunser und die Zehn Gebote sprechen konnte. Als der Aufruhr von 1791 gegen ›Philosophen‹ (Wissenschaftler) und für ›Kirche und König‹ der Lunar Society ein Ende machte, fügte Erasmus gerade die letzten Striche zu einem Buch hinzu. Es hieß Zoonomie und handelte von der Evolution.
    Allerdings nicht durch Charles’ Mechanismus der natürlichen Zuchtwahl. Erasmus beschrieb eigentlich keinen Mechanismus. Er sagte nur, dass sich Organismen verändern könnten. Alles pflanzliche und tierische Leben, so glaubte Erasmus, stamme von lebenden ›Fäden‹ ab. Sie müssten sich verändern können, sonst wären sie immer noch Fäden. Im Bewusstsein von Lyells Tiefer Zeit argumentierte Erasmus so:
    In dem großen Zeitraum, seit die Erde zu existieren begann, vielleicht Millionen von Jahrhunderten, ehe die Geschichte der Menschheit einsetzte, wäre es wohl kaum eine zu kühne Vorstellung, dass alle warmblütigen Tiere aus einem einzigen lebenden Faden entstanden sind, den die erste große Ursache mit tierischer Natur versah, mit dem Vermögen, neue Körperteile zu erwerben, begleitet von neuen Neigungen, geführt von Reizen, Empfindungen, Willensakten und Assoziationen, und solcherart im Besitz der Fähigkeit, sich durch die eigene inhärente Tätigkeit zu vervollkommnen und diese Vervollkommnungen an künftige Generationen, an die Nachwelt ohne Ende weiterzugeben!
    Wenn das lamarckistisch klingt, so aus dem einfachen Grunde: Es war lamarckistisch. Jean-Baptiste Lamarck glaubte, Lebewesen könnten Eigenschaften erben, die ihre Vorfahren erworben hatten – dass, wenn beispielsweise ein Grobschmied dank jahrelanger Arbeit in seiner Schmiede äußerst

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